Syrien: Türkische Bodentruppen marschieren in Kurdenregion ein

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Nach dem Bombardement der türkischen Luftwaffe auf Kurdenstellungen dringen die ersten Streitkräfte in die syrische Region Afrin ein. Mit der "Operation Olivenzweig" legt sich Ankara mit den USA an.

Türkische Streitkräfte sind nach eigenen Angaben in die nordsyrische Provinz Afrin eingerückt, um von dort eine mit den USA verbündete Kurdenmiliz zu vertreiben. Ziel sei die Schaffung einer 30 Kilometer breiten Sicherheitszone in der syrischen Provinz Afrin, zitierte der türkische Sender HaberTürk am Sonntag Ministerpräsident Binali Yildirim.

Die syrische Kurdenmiliz YPG erklärte, die türkischen Bodentruppen seien nach heftigen Gefechten an der Grenze zurückgeschlagen worden. Die Türkei hatte die Offensive mit Luftangriffen in der Nacht zu Freitag begonnen. Sie hat damit eine neue Front im syrischen Bürgerkrieg eröffnet, indem sie sich direkt gegen eine mit dem Nato-Partner USA verbündete kurdische Miliz stellt.

Erdogan: YPG "vernichten"

Nach den Worten von Präsident Recep Tayyip Erdogan werde die Türkei die YPG-Miliz in Syrien "vernichten". Deren Kämpfer könnten sich nicht auf die Hilfe der USA verlassen, um die Türkei zu besiegen, sagte Erdogan am Sonntag bei einer Veranstaltung seiner AK-Partei in Bursa. Auch die Kurdenorganisationen PKK und PYD würden "fertiggemacht, bis nichts mehr von ihnen übrig" sei.

Den Verbündeten der Türkei warf Erdogan vor, die YPG mit 2.000 Flugzeugladungen und 5.000 Lkw-Ladungen an Waffen versorgt zu haben. Dies war offenbar an die Adresse der USA gerichtet, die mit der YPG im Kampf gegen die Islamisten-Miliz IS verbündet sind. Die Türkei sieht in der Miliz einen Teil der als Terrororganisation verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei PKK, die seit drei Jahrzehnten einen bewaffneten Aufstand im überwiegend kurdischen Südosten des Landes anführt.

Operation "wie geplant"

"Die Operation 'Olivenzweig' verläuft wie geplant", hatten die türkischen Streitkräfte zuvor mitgeteilt. Bislang seien 153 feindliche Einrichtungen getroffen worden, darunter Unterkünfte und Verstecke der kurdischen Milizen. Die von der Türkei unterstützte Rebellenmiliz Freie Syrische Armee habe ein kurdisches Dorf besetzt, ohne auf Widerstand gestoßen zu sein, verlautete aus türkischen Regierungskreisen. Ein Sprecher der YPG-Miliz erklärte, an mehreren Fronten um Afrin gebe es Gefechte. Die türkischen Angreifer seien jedoch zum Rückzug gezwungen worden.

Nach YPG-Angaben wurden durch türkische Angriffe sechs Zivilisten und drei YPG-Kämpfer getötet. Die Kurden-Miliz warf der Türkei vor, Wohngebiete und ein Flüchtlingslager in Afrin beschossen zu haben.

Mindestens sechs Zivilisten getötet

Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte bestätigte den Einmarsch zunächst nicht. Sie berichtete zwar von heftigen Kämpfen zwischen "türkischen Truppen" und Einheiten der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), einer Allianz unter Führung der YPG. Die Kämpfer versuchten nach Afrin vorzurücken, zunächst hätten die Kurden sie aber davon abgehalten.

Die Türkei sieht die YPG als syrischen Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK, die sie im eigenen Land bekämpft. Von ihrer starken Präsenz an der türkischen Grenze fühlt sich Ankara bedroht. Die USA sehen in der Miliz dagegen einen ihrer effizientesten Verbündeten im Kampf gegen die Jihadistenmiliz Islamischer Staat (IS).

Riskantes Vorgehen: Russische Truppen in Region

Das Vorgehen der Türkei ist riskant, weil in der Region um Afrin russische Soldaten stationiert waren. Moskau hatte sie nach Beginn der Offensive verlegt und betont, man beobachte das Vorgehen mit Sorge. Russland und die Türkei treten bei den Syrien-Gesprächen in Astana und den geplanten Friedensgesprächen in Sotschi als Schutzmächte der Regierung und der Rebellen auf.

Ein Sprecher des US-Verteidigungsministeriums rief am Samstag zur Mäßigung auf: "Wir ermutigen alle Seiten, eine Eskalation zu vermeiden und sich auf die wichtigste Aufgabe, den Sieg über den IS, zu konzentrieren." Ähnlich äußerten sich Russland und Frankreich. Die französische Regierung beantragte eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates.

Mit ihrer Operation nimmt das türkische Militär eine Region Syriens ins Visier, die bisher weitgehend von der Gewalt im syrischen Bürgerkrieg verschont geblieben ist. Die hügelige, ländliche Region im Nordwesten der Provinz Aleppo war lange vor allem für ihre Olivenhaine bekannt, machte sich aber seit 2012 auch einen Namen als erstes kurdisches Autonomiegebiet.

Erste Kurdenregion mit autonomer Verwaltung

Für die rund eine Million Menschen, die in den rund 360 Dörfern und Städtchen von Afrin leben, ist die Lage prekär. Ihre Region grenzt im Norden und Westen an die Türkei, im Süden und Osten befinden sich Gebiete, die von protürkischen Rebellen kontrolliert werden. Die einzige Verbindung zur Außenwelt ist eine Straße zur Provinzhauptstadt Aleppo, die unter Kontrolle der Regierung in Damaskus steht.

Afrin ist ein altes kurdisches Siedlungsgebiet. Auf Arabisch heißt die Region Jabal al-Akrad, oder Berge der Kurden. Sie war die erste Region, in der es den Kurden 2012 mit Duldung der Regierung in Damaskus gelang, eine autonome Verwaltung aufzubauen. So errichteten sie eigene Schulen, Kulturzentren und mit den Volksverteidigungseinheiten (YPG) auch eigene Sicherheitskräfte.

Die 5000 YPG-Kämpfer in Afrin halten die Region seit 2012 fest unter Kontrolle und verhindern, dass sich dort Rebellengruppen etablieren. Das in Afrin erprobte Autonomiemodell wurde später auch in den kurdischen Kantonen Jasire und Euphrat im Norden und Nordosten des Landes angewandt. Nach dem Willen der Kurden sollen die drei Kantone eine "föderale Region" in Syrien bilden. Im September wurden erstmals Kommunalwahlen abgehalten, doch die diese Woche geplante Parlamentswahl wurde kurzfristig aus "Organisationsproblemen" verschoben.

Kurden-Miliz YPG: Von den USA unterstützt, von den Türken bekämpft

Die Kurden gehören zu den bedeutendsten Kriegsparteien in Syrien. Kämpfer der Kurdenmiliz YPG, die von den USA unterstützt werden, kontrollieren große Teile im Norden Syriens an der Grenze zur Türkei, wo die Kurden eine Selbstverwaltung eingerichtet haben.

Der türkischen Regierung ist ihre starke Präsenz ein Dorn im Auge. Sie befürchtet Auswirkungen auf die kurdischen Autonomiebestrebungen im eigenen Land. Die Kurdenpartei PYD und ihre Miliz YPG sind eng mit der kurdischen Arbeiterpartei PKK verbunden, die von der Türkei als Terrororganisation eingestuft wird.

Das Bündnis der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), das von der YPG geführt wird, hatte mit US-Unterstützung zuletzt große Erfolge im Kampf gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) errungen. Unter anderem eroberten SDF-Truppen die ehemalige IS-Hochburg Al-Raqqa.

(APA/AFP/Ezzedine Said/dpa)

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