Venezuela: „Wir haben Befehl, dich zu töten“

Der Rebell Oscár Pérez wollte sich ergeben.
Der Rebell Oscár Pérez wollte sich ergeben. (c) APA/AFP/afp/INAKI ZUGASTI
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Über den gewaltsamen Tod des Polizeirebellen Oscár Pérez sickern immer mehr Details an die Öffentlichkeit. Für Menschrechtler steht mittlerweile außer Zweifel: Es war eine außergerichtliche Exekution.

Buenos Aires. Für Venezuelas Regierung war es eine erfolgreiche Anti-Terror-Aktion. Aber für deren Kritiker ein besonders drastisches Beispiel für die Verletzung von Menschenrechten in der Bolivarischen Republik. Womöglich kann sich der gewaltsame Zugriff zu einer schweren Hypothek für den Präsidenten, Nicolás Maduro, und den Innenminister, Néstor Reverol, entwickeln. Denn die „Terroristen“ übertrugen ihre Auslöschung live auf Instagram. Und hinterließen damit wichtiges Beweismaterial.

Es geschah vor gut einer Woche. Da meldete sich Oscár Pérez über die sozialen Netze zu Wort. Der 36-jährige Kriminalpolizist mit den wasserblauen Augen ist im ganzen Land bekannt, weil Fahndungsplakate an vielen Ausfallstraßen des Landes hängen. Pérez hielt sich versteckt, nachdem er im Juni einen Polizeihubschrauber gestohlen und aus diesem mehrere Granaten auf Regierungsgebäude abgeworfen hatte, die jedoch niemanden verletzten. Kurz darauf überfiel er mit anderen abtrünnigen Polizisten eine Militärbasis und erbeutete Waffen. Seither blieb er verschwunden, bis am 12. Jänner CNN en español ein Skype-Interview mit ihm sendete.

Ob es dieser Kontakt war, der die Behörden auf Pérez' Spur brachte, oder doch eine Indiskretion aus seiner engsten Umgebung, ist noch nicht klar. Sicher jedoch ist, dass Pérez sowie fünf Männer und eine Frau getötet wurden, als die Sondereinsatzkräfte deren Versteck, ein Landhaus in den Bergen westlich von Caracas, mit Raketenwerfern in Schutt und Asche legten.

Als Pérez sich am frühen Abend dieses 15. Jänner erstmals über Instagram meldete, gab er bekannt, das Gebäude sei umstellt und er habe dem Kommandierenden angeboten, sich zu ergeben, auch aus Rücksicht auf Frauen und Kinder, die das Chalet, das einem Arzt gehört, bewohnten. Aber der Kommandierende habe geantwortet: „Wir werden nicht verhandeln. Wir haben Befehl, dich zu töten.“

Acht Stunden brauchten die Einsatzkräfte, um die Order auszuführen. Dabei verloren auch zwei der Ihren ihr Leben, unter anderem ein Zivilist, der als Anführer eines chavistischen „colectivo“ wirkte. So heißen die kriminellen Banden, die dem Regime für Schmutzarbeit zur Verfügung stehen, im Gegengeschäft zu Straffreiheit bei Alltagsdelikten. Gegen den Gefallenen, der posthum von Regierungsvertretern als inoffizielles Polizeimitglied bezeichnet wurde, hatte die Generalstaatsanwältin Luisa Ortega Diáz in sechs Mordfällen ermittelt, ehe sie im August aus dem Land flüchten musste.

Ortega Diáz hat aus ihrem kolumbianischen Exil angekündigt, dass sie die Extermination von Pérez und seinen Mitstreitern jener Klage zufügen werde, die sie im November gegen Maduro und seinen Minister Reverol vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag eingereicht hat. Massive Beweise liegen vor: Pérez hat, mit blutigem Gesicht, mitgefilmt, wie die Sondereinsatzkräfte mit Explosivgeschossen das Versteck perforierten. In ihrer Anklage in Den Haag dokumentiert die im August abgesetzte Generalstaatsanwältin 505 außergerichtliche Exekutionen durch die Sicherheitskräfte und deren Häscher, den „colectivos“.

Aus mehreren Quellen ist bekannt, dass der 54-jährige Nicolás Maduro wenig mehr fürchtet als den internationalen Strafgerichtshof (ICC). Denn dieser verfolgt, anders als etwa die Menschenrechtsabteilungen der UN, nicht Staaten, sondern Individuen, auch Präsidenten, Minister und Militärkommandanten. Maduro könnte eine lebenslange Gefängnisstrafe drohen wie den Kriegsherren Ex-Jugoslawiens.

Heute, Dienstag, treffen sich in Santiago de Chile die zwölf Mitglieder der Allianz von Lima, also Regierungen aus Südamerika und Kanada, um einen weiteren Aktionsplan gegen das Maduro-Regime zu vereinbaren. Ein wichtiger Schritt könnte eine Klage vor dem ICC sein. José Miguel Vivanco, der Amerika-Chef von Human Rights Watch, der Pérez' Ende als „außergerichtliche Tötung im Stil südamerikanischer Militärdiktaturen der 1970er-Jahre“ verurteilt hat, sagt zu einer allfälligen Klage gegen Maduro vor dem ICC: „Beweise liegen im Übermaß vor.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.01.2018)

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