„Die FPÖ hat definitiv eine antisemitische Geschichte“

Wjatscheslaw Mosche Kantor kam zur Eröffnung der Antisemitismus-Konferenz nach Wien.
Wjatscheslaw Mosche Kantor kam zur Eröffnung der Antisemitismus-Konferenz nach Wien.(c) Ouriel Morgensztern
  • Drucken

Mosche Kantor, Präsident des Europäischen Jüdischen Kongresses, spricht im Interview über die Wurzeln des neuen Judenhasses und abgeschottete muslimische Gruppen als Europas „versteckte Atombombe“.

Die Presse: Mehr als 70 Jahre nach dem Holocaust ist der Antisemitismus wieder im Anstieg. Was läuft falsch in Europa?

Wjatscheslaw Mosche Kantor: Das ist leider eine erwartbare Entwicklung. Je mehr wir uns zeitlich von einer Katastrophe entfernen, umso stärker verblasst das historische Gedächtnis. Deshalb sind wir gezwungen, unsere Erfahrung zu wiederholen. Katastrophen sind unsere besten Lehrer.

Was sind die Hauptursachen für das Wiedererstarken des Antisemitismus?

Was wir heute erleben, hat nicht erst gestern begonnen. Vieles geht auf die Wirtschaftskrise 2008 zurück. Dazu kam noch die unregulierte Immigration in ganz Europa. Und der Anti-Israelismus ist ohnehin ein Teil des modernen Antisemitismus. Diese Kombination brachte uns die jetzige Krise. Die Anzahl der antisemitischen Vorfälle ist dabei ungefähr gleich geblieben. Zugenommen haben jedoch die Qualität und Substanz.

Was meinen Sie damit?

Der Antisemitismus wird institutionalisierter. Er hat die Zivilgesellschaft, staatliche Einrichtungen und Parlamente erfasst. Das können Sie ja auch in Ihrem Land sehen, in Österreich.

Worauf spielen Sie an? Halten Sie die FPÖ für antisemitisch?

Die FPÖ hat definitiv eine antisemitische Geschichte. Aber die Partei möchte gegenwärtig diese Angelegenheit klarstellen und hat deshalb eine Historikerkommission eingesetzt. Diese sollte unabhängig sein. Wir sind sehr interessiert daran, dass diese Kommission objektive Resultate erzielt, damit die FPÖ eine Linie ziehen kann zwischen gegenwärtigem Parteiverhalten und ihrer Geschichte.

Würden Sie FPÖ-Politiker treffen?

Nein, das ist in meinem Programm nicht vorgesehen.

Wären Sie prinzipiell bereit?

Nur, wenn uns die jüdische Gemeinde in Wien dazu instruiert.

Sie werden doch keine Instruktionen brauchen.

Doch. Die Gemeinden entscheiden, was der Europäische Jüdische Kongress macht. Wir gestatten uns nicht, etwas in einem Land ohne die Erlaubnis der dortigen jüdischen Gemeinde zu unternehmen.

Welche Bedingungen sollte die FPÖ erfüllen, bevor Sie mit ihr reden? Ich bin sicher, dass Sie darüber mit Ariel Muzicant und anderen schon gesprochen haben.

Noch nicht, auch nicht mit Oskar Deutsch (Präsident der israelitischen Kultusgemeinde; Anm.). Wir werden tun, was immer die Gemeinde entscheidet.

Sie wiesen auf den neuen Antisemitismus als Folge muslimischer Einwanderung hin. Darauf hat in Österreich vor allem die FPÖ aufmerksam gemacht. Ist es da nicht absurd, wenn Sie mit ihr kein Wort wechseln wollen?

Wir leben in einer absurden Welt. Wer hätte angenommen, dass Ultrarechte und Ultralinke Partner sein könnten. Genau das passiert jetzt. So wie schon in Deutschland vor fast 80 Jahren. Erinnern Sie sich an den Pakt zwischen Kommunisten und Nazis? Wir leben auch heute nicht in einer sehr logischen und eleganten Welt.

Was halten Sie für das größere Problem: den Antisemitismus der Rechtsextremen oder der islamistischen Extremisten?

Die versteckte Atombombe in jedem Land Europas sind die abgeschotteten ethnischen Gruppen. Es ist das größte Problem in Europa, und die islamistische Wurzel ist offensichtlich. Es handelt sich meist um Bürger, die schon das Recht haben, hier zu leben, aber die Gesetze nicht achten.

Wie ist das Problem lösbar?

Mit einer Kombination aus Soft und Hard Power.

Was verstehen Sie unter Hard Power?

Die Polizei und die Armee. Es ist ein beschämendes Faktum. Aber in Ländern wie Frankreich kann man die jüdische Minderheit nicht mehr anders schützen. Mit Hard Power allein kann man jedoch keine langfristige Sicherheit herstellen. Auch nicht allein mit Gesetzen. Denn die kann man ändern. Wir brauchen eine unwiderrufliche gesellschaftliche Veränderung. Antisemitismus ist nicht das Problem der Juden, sondern der Nichtjuden. Die Gesellschaft ist krank.

Wer Polen eine Mitverantwortung an nationalsozialistischen Verbrechen zuschreibt, dem drohen bis zu drei Jahre Gefängnis. Was halten Sie von diesem umstrittenen Holocaust-Gesetz?

Ich bin Präsident des Europäischen Jüdischen Kongresses und Vizevorsitzender der Yad-Vashem-Gedenkstätte. Ich werde historisch aufarbeiten lassen, wie sich Polen im Holocaust verhalten haben.

Ist das nicht schon längst aufgearbeitet? Vielleicht sollten Sie zuerst mit der polnischen Regierung reden. Premier Marowiecki hat neulich von jüdischen Tätern im Holocaust gesprochen.

Ich bin dieser Äußerungen müde. Es ist an der Zeit, wissenschaftliche Klarstellungen vorzunehmen. Und das verspreche ich auf Basis der Datenbank von Yad Vashem.

Was erwarten Sie von der Antisemitismus-Konferenz in Wien?

Nicht nur Analysen. Wir ersuchen die Wissenschaftler um praktische Empfehlungen, wie dem Antisemitismus beizukommen ist.

Zur Person

Wjatscheslaw Mosche Kantor (geb. 1953 in Moskau) ist seit 2007 Präsident des Europäischen Jüdischen Kongresses. Der Absolvent des Staatlichen Moskauer Luftfahrtinstituts führt seit 25 Jahren die agrochemische Acron-Gruppe, ist Milliardär und zählt zu den 50 reichsten Russen. Er kam am Sonntag nach Wien, um die Antisemitismus-Konferenz zu eröffnen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.02.2018)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

French Der französische Starphilosoph Bernard-Henri Lévy.Bernard-Henri Levy arrives for a meeting with French President and a delegation of Iraqi-Kurdish Peshmerga fighters at the Elysee Palace in  Paris
Debatte

Suche nach einem Handbuch gegen Judenhass

Der französische Starphilosoph Bernard-Henri Lévy eröffnete im Wiener Rathaus eine viertägige Antisemitismus-Konferenz. Er zählt auf das Bündnis mit den christlichen Kirchen – und hofft auf eine Allianz mit dem Islam.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.