Syrien erlebt die blutigsten Tage seit Kriegsbeginn

APA/AFP/ABDULMONAM EASSA
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Bombenhagel in Ost-Ghouta: Mehr als 200 Menschen sind innerhalb von 48 Stunden getötet worden. Ein Arzt spricht vom "Massaker des 21. Jahrhunderts". UNO und USA prangern die Offensive des syrischen Regimes an.

Es ist eine der blutigsten Angriffswellen seit Beginn des Konfliktes in Syrien: 231 tote Zivilisten und 1200 Verletzte binnen 48 Stunden. Für die 400.000 in Ost-Ghouta im Zentrum des Bürgerkriegsland eingeschlossenen Zivilisten gibt es kein Entrinnen. Seit Monaten wird die Region nahe der Hauptstadt Damaskus von den Truppen des syrischen Machthabers Bashar al-Assad belagert.

Vor fast genau sieben Jahren begannen nach Tunesien, Ägypten und Libyen auch in Syrien Proteste gegen die Herrscher des Landes. Syrien kippte in der Folge in einen verheerenden Krieg, an dem sich zahlreiche regionale und internationale Mächte beteiligen. Syrien wurde damit zum blutigsten Kapitel des sogenannten "Arabischen Frühlings".

Opfer unter den Trümmern der Häuser

Die Menschen in Ost-Ghouta sind gefangen im täglichen Bombenhagel. Grausame Bilder aus dem Rebellengebiet zeigten mit Staub bedeckte Opfer unter den Trümmern zerstörter Häuser. Aktivsten verbreiteten Aufnahmen von getöteten Kindern. Zwar habe der Beschuss mit Raketen und die Bombardierung des Gebiets im Umland der Hauptstadt Damaskus über Nacht etwas nachgelassen, aber am Morgen wieder zugenommen, teilte die der Opposition nahestehende Syrische Beobachterstelle für Menschenrechte am Mittwoch mit.

Dabei seien aus Hubschraubern auch Fassbomben abgeworfen worden, die wegen ihrer verheerenden Sprengkraft und Splitterwirkung von den Vereinten Nationen (UN) geächtet sind. Auch mehrere Giftgasattacken melden syrische Menschenrechtsorganisationen. In den vergangenen Tagen sollen nicht einmal Krankenhäuser von den Angriffen des Militärs verschont geblieben sein.

"Es gibt viele Berichte von zerstörten Krankenhäusern und Hilfszentren", sagte auch Walter Hajek vom Österreichischen Roten Kreuz. "Die Möglichkeiten zur medizinischen Versorgung schwinden weiter und Menschen sterben, weil ihnen nicht geholfen werden kann", warnte er. Die Hilfsorganisationen bräuchten dringend Zugang nach Ost-Ghouta. Unterdessen zwingen die Kampfhandlungen und schwere Bombardierungen die Hilfsorganisation Care dazu, Lieferungen für Tausende von Menschen im belagerten Ost-Ghouta einzustellen.

Die SOS-Kinderdörfer melden, dass auch Mitarbeiter der Hilfsorganisation an Ort und Stelle unter Beschuss geraten waren. "So schlimm wie jetzt war es noch nie! Es ist derzeit viel zu riskant, unsere Arbeit zu verrichten, alle sind angewiesen, sich in den Kellern zu verbarrikadieren", berichtete eine Helferin, die nur knapp eine Bombenexplosion überlebte, laut Aussendung. Die SOS-Kinderdörfer betreiben in unmittelbarer Nähe der umkämpften Gebiete ein Nothilfezentrum. 

"Es war die Hölle"

Von einem Krieg könne man hier nicht mehr sprechen, zitiert der britische "Guardian" einen Arzt in Ost-Ghouta. "Wir erleben das Massaker des 21. Jahrhunderts. War das Massaker der 1990er Jahre Srebrenica (...), dann passiert das Massaker dieses Jahrhunderts gerade jetzt."

"Es war die Hölle", sagte ein anderer Arzt, der nur mit seinem Vornamen Mohammed zitiert werden wollte, einer Nachrichtenagentur. "Wir mussten mit ansehen, wie Kinder in unseren Händen an ihren schweren Wunden gestorben sind, weil sie zu spät ins Krankenhaus kamen." Die Kliniken seien völlig überfüllt. Narkosemittel und wichtige Medikamente gingen zu Ende.

Russischen Angaben zufolge haben die Rebellen in Ost-Ghouta ein Beobachtungszentrum für den Waffenstillstand bombardiert. Auch Wohngebiete und Hotels in Damaskus seien von "illegalen bewaffneten Gruppen aus Ost-Ghuta" unter starken Beschuss genommen worden, berichtete die Nachrichtenagentur Tass. Dabei sei es zu schweren Schäden gekommen, es habe Opfer unter Zivilisten gegeben. Moskau unterstützt in Syrien den Machthaber Bashar al-Assad.

Der Bürgerkrieg hatte im März 2011 mit Protesten gegen die autoritäre Regierung Assad begonnen. Die Region Ost-Ghouta gehört zu den letzten Gebieten, die noch unter Kontrolle von Rebellen stehen. Dominiert werden sie von islamistischen Milizen, darunter der syrische Ableger des Terrornetzwerks Al-Kaida. Mehrfach waren in den vergangenen Monaten Versuche gescheitert, in dem Gebiet eine längere Waffenruhe zu erreichen. Stattdessen eskalierte die Gewalt in den vergangenen Wochen immer wieder.

Oppositionelle werfen der Regierung vor, sie wolle Ost-Ghouta wie schon zuvor andere belagerte Gebiete so lange massiv bombardieren, bis die Rebellen zur Aufgabe gezwungen seien. Zugleich meldeten regierungstreue Medien, Elitetruppen planten eine Bodenoffensive auf Ost-Ghouta.

UN-Generalsekretär Antonio Guterres zeigte sich "zutiefst beunruhigt" über die Eskalation der Kämpfe. Besonders die Folgen für die Zivilbevölkerung machten ihm Sorgen, sagte sein Sprecher Stephane Dujarric in New York. Ost-Ghouta sei Teil der Deeskalationsvereinbarung von Astana, so Dujarric. Der UN-Generalsekretär erinnere alle Parteien an deren Verpflichtungen. Garantie-Mächte des Abkommens sind Russland, der Iran und die Türkei.

USA kritisieren "Belagern-und-Aushungern"-Taktik

Die Vereinten Nationen hätten wiederholt ein Ende der Kämpfe gefordert, um die Lieferung humanitärer Hilfsgüter zu ermöglichen sowie Kranke und Verwundete aus der Region schaffen zu können, so der Sprecher. Der Generalsekretär dringe darauf, die Zivilbevölkerung und die zivile Infrastruktur zu schützen.

Auch das US-Außenministerium zeigte sich über die jüngsten Berichte aus Ost-Ghouta beunruhigt. Die "Belagern-und-Aushungern"-Taktik der syrischen Regierung verschlimmere das humanitäre Desaster vor Ort, sagte Sprecherin Heather Nauert am Dienstag (Ortszeit) in Washington.

"Das Grauen von Aleppo droht sich nun wenige Kilometer von Damaskus entfernt zu wiederholen. Und wieder werden vor allem unschuldige Zivilisten, darunter viele Kinder, Opfer der zerstörerischen Gewalt des syrischen Regimes und seiner Unterstützer", erklärte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin. "Wir fordern das Regime auf, seine Angriffe sofort einzustellen und endlich humanitären Zugang zu gewähren!"

Eskalation zwischen Syrien und Türkei droht

Zugleich kritisierte er, dass die von der Türkei angekündigte Blockade der von Kurden kontrollierten Region um Afrin zu weiterem Leid unter der Zivilbevölkerung führen werde. In dem Gebiet im Norden Syriens bombardierte die türkische Armee am Dienstag weiter, nachdem dort syrische Regierungskräfte zur Unterstützung kurdischer Truppen eingerückt waren, wie die staatliche syrische Nachrichtenagentur Sana meldete.

In Afrin wächst mit der Konfrontation die Sorge vor einer größeren Eskalation zwischen der Türkei und Syrien. Am Dienstag rückten dort zunächst erste syrische Regierungskräfte ein, wie die Kurdenmiliz YPG bestätigte. Diese sollten sich an der Verteidigung der Einheit Syriens und der Grenzen beteiligen. In der Nacht auf Mittwoch kam es zu Artilleriebeschuss, dabei sind sechs Menschen verletzt worden, darunter vier Kinder, meldeten die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte und die kurdische Nachrichtenseite Hawar News. Nach Angaben der Menschenrechtsaktivisten flogen türkische Jets in der Früh zudem Luftangriffe.

Die Türkei sieht in der Miliz den syrischen Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK und bekämpft sie. Die YPG ist aber zugleich mit der US-geführten Koalition im Kampf gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) in Syrien eng verbündet.

>>> Bericht im "Guardian".

(APA/dpa/Reuters/red.)

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