Syrien

Die große Flucht: Hunderttausende Zivilisten verlassen bombardiertes Afrin

Eine Familie vor einem Checkpoint nach der Flucht aus Afrin.
Eine Familie vor einem Checkpoint nach der Flucht aus Afrin.APA/AFP/BULENT KILIC
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Die Beobachtungsstelle meldet 16 Tote bei einem Angriff auf ein Krankenhaus in der vom türkischen Militär umzingelten Kurdenstadt. Ankara dementiert die Vorwürfe.

In Syrien sind hunderttausende Menschen auf der Flucht vor den Kämpfen in der Kurdenregion Afrin und der Rebellenenklave Ost-Ghouta. Allein aus der Stadt Afrin flohen nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte seit Mittwochabend mehr als 200.000 Bewohner.

Bei neuerlichen Luftangriffen auf die Region Ost-Ghouta wurden demnach am Samstag mindestens 36 Zivilisten getötet. Ein Flüchtlingstreck von rund 10.000 Menschen strömte am Samstagmorgen aus der Enklave.

Türkei dementiert Angriff auf Krankenhaus

Am Nordrand der mehrheitlich von Kurden bewohnten Stadt Afrin gab es laut Beobachtungsstelle in der Nacht zum Samstag heftige Kämpfe. Die türkischen Truppen und die mit ihnen verbündeten syrischen Islamistenmilizen versuchten, in die Stadt vorzudringen.

Bei einem Angriff auf das zentrale Krankenhaus der Stadt am Freitag sind nach Angaben der Beobachtungsstelle 16 Menschen getötet worden. "Das Krankenhaus wurde von mehreren türkischen Granaten getroffen", sagte auch der Arzt Joan Schitika der Deutschen Presse-Agentur. Dutzende weitere Menschen seien verletzt worden. Bilder und Videos kurdischer Aktivisten zeigten den Innenhof des mutmaßlichen Krankenhauses, der voller Trümmer lag.

Die türkische Armee dementierte am Samstag den Angriff und veröffentlichte Videomaterial einer Drohne. Darauf soll das Krankenhaus zu sehen sein. Die zwei gezeigten Fassaden und das Dach des Gebäudes sind in dem einminütigen Video intakt. Allerdings ist in dem Video auch kurz ein weiteres Gebäude zu sehen, dessen Dach den Einschlag einer Rakete aufweist.

Bei diesem Gebäude handle es sich um die Kinderstation des Krankenhauses, sagte der Arzt Joan Schitika. Das von den türkischen Streitkräften gezeigte Gebäude sei nicht das Krankenhaus, warf der kurdische Arzt der Türkei vor.

Die türkische Armee schrieb auf Twitter, dass die Operation in Afrin so durchgeführt werde, dass keinen Zivilisten und Unschuldigen Schaden zugeführt werde. Die Türkei hatte in der Vergangenheit immer wieder dementiert, dass Zivilisten bei den Angriffen getötet worden seien.

Afrin ist beinahe vollständig von türkischen Truppen umzingelt. Lediglich im Süden gibt es einen Fluchtkorridor, der es den Bewohnern ermöglicht, die Stadt in Richtung der von Kurden oder der syrischen Regierung kontrollierten Gebiete zu verlassen. Ziel der türkischen Armee ist es, nach Angaben der Regierung in Ankara, Afrin von den kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) zu "säubern" und eine "Pufferzone" an der türkisch-syrischen Grenze einzurichten.

Ankara sieht die YPG wegen ihrer engen Verbindungen zur verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) als Terrororganisation. Die YPG sind mit den USA im Kampf gegen die Jihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) verbündet. Deshalb sorgt die türkische Offensive für Irritationen zwischen Washington und Ankara, die beide Partner in der NATO-Militärallianz sind. Besonders heikel ist der von der Türkei geplante Vormarsch in östlicher Richtung auf die multiethnische Stadt Manbij, weil die USA dort - im Gegensatz zu Afrin - militärisch präsent sind.

In Hannover gingen am Samstag bis zu 11.000 Menschen auf die Straße, um gegen die türkische Afrin-Offensive zu demonstrieren. Auch in anderen deutschen Städten sowie in Wien waren am Samstag Demonstrationen geplant. Hintergrund ist das kurdische Neujahrsfest Newroz.

Auch in Ost-Ghouta sind Tausende auf der Flucht

Aus der Rebellenenklave Ost-Ghouta am Rande der Hauptstadt Damaskus flohen nach Angaben der Beobachtungsstelle für Menschenrechte allein am Samstagmorgen 10.000 Menschen. Die Zahl der seit Donnerstag Geflüchteten gab die Stelle mit 40.000 an. Das syrische Staatsfernsehen zeigte Flüchtlingstrecks, die aus Ost-Ghouta in die Regierungszone strömten: Schwarzgekleidete ältere Frauen, Mädchen mit Decken im Arm, Männer mit Bündeln auf der Schulter, ein Vater mit einem Fahrrad, seinem kleinen Sohn und einem riesigen Jute-Sack. Laut Angaben der Beobachter befindet sich die syrische Armee in Ost-Ghouta weiter auf dem Vormarsch. Am Samstag seien zwei weitere Orte eingenommen worden.

In dem seit sieben Jahren wütenden Bürgerkrieg sind die Angaben der in Großbritannien ansässigen Beobachtungsstelle - wie auch jene der Konfliktparteien - für Medien nur schwer zu überprüfen.

(APA)

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