Türkei erobert nordsyrische Kurdenhochburg Afrin

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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat die "vollständige" Eroberung des Stadtzentrums von Afrin in Nordsyrien verkündet.

Rund zwei Monate nach Beginn der türkischen Offensive in Nordsyrien haben die türkischen Truppen und ihre Verbündeten am Sonntag die mehrheitlich kurdische Stadt Afrin eingenommen. Das Stadtzentrum sei "vollständig" erobert, sagte der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan. Augenzeugen zufolge waren türkische Soldaten und ihre syrischen Verbündeten in sämtlichen Stadtteilen präsent.

In den vergangenen Tagen waren nach Aktivistenangaben rund 200.000 Zivilisten aus der Stadt geflohen. Auch die kurdischen Kämpfer sollen sich vor den vorrückenden Truppen zurückgezogen haben. Ein Sprecher der mit Ankara verbündeten "Freien Syrischen Armee" (FSA) sagte, die Miliz sei in der Früh an drei Fronten in die Stadt eingerückt, ohne auf Widerstand getroffen zu sein.

"Einheiten der Freien Syrischen Armee, die von der türkischen Armee unterstützt wird, haben heute in der Früh um 08.30 Uhr (06.30 Uhr MEZ) die vollständige Kontrolle über das Stadtzentrum von Afrin übernommen", sagte Erdogan. Minenräumarbeiten seien im Gange. Eine "große Zahl" kurdischer Kämpfer sei "mit eingezogenem Schwanz geflohen". Türkische Spezialeinheiten seien in der Stadt stationiert worden.

"Die türkische Flagge weht jetzt dort! Die Flagge der Freien Syrischen Armee weht dort!", sagte Erdogan. "Im Zentrum Afrins wehen nun die Symbole von Vertrauen und Stabilität anstelle der Fetzen von Terroristen." Der türkische Generalstab veröffentlichte im Kurzbotschaftendienst Twitter ein Video, das einen Soldaten beim Hissen der türkischen Flagge zeigte.

In der Stadt waren Freudenschüsse zu hören, vor einem Behördengebäude waren zwei türkische Panzer postiert. An mehreren Gebäuden wehten türkische Flaggen und Fahnen der mit der Türkei verbündeten syrisch-arabischen Milizen.

Die in der gleichnamigen Enklave gelegene Stadt Afrin war das Hauptziel der am 20. Jänner von der Türkei gestarteten Offensive "Olivenzweig". Die Einnahme der Stadt ist ein wichtiger Sieg der Türkei gegen die Kurdenmiliz YPG. Ankara sieht die YPG wegen ihrer engen Verbindungen zur verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) als Terrororganisation an. Afrin ist einer von drei kurdischen Kandtonen in Nordsyrien. Ankara will die Offensive auch auf andere Kurdengebiete ausweiten, wo die YPG Seite an Seite mit US-Kräften gegen die Terrormiliz IS kämpft.

Die YPG äußerte sich zunächst nicht. Nach Informationen der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte hielten die Kämpfe am Sonntag in der Früh an. FSA-Kämpfer kontrollierten etwa die Hälfte der Stadt. Laut der Beobachtungsstelle, deren Berichte von unabhängiger Stelle kaum zu überprüfen sind, flohen in den vergangenen Tagen mindestens 200.000 Zivilisten aus Afrin. Demnach wurden bei türkischen Bombenangriffen am Freitag und Samstag mindestens 27 Zivilisten in Afrin getötet, darunter 16 beim Beschuss eines Krankenhauses. Seit Beginn der Offensive seien mehr als 280 Zivilisten getötet worden. Ankara weist das zurück, ebenso wie den mutmaßlichen Angriff auf das Krankenhaus.

1400 tote Zivilisten

Wie die Beobachtungsstelle am Sonntag weiter mitteilte, wurden seit Beginn der Offensive zudem mehr als 1500 kurdische Kämpfer getötet. Seit dem 20. Jänner seien überdies mehr als 400 protürkische Rebellen getötet worden. Die türkische Armee spricht von 46 getöteten türkischen Soldaten.

Die Lage in der Rebellenenklave Ost-Ghouta am Rande der syrischen Hauptstadt Damaskus war am Wochenende weiter dramatisch. Allein am Sonntag sollen 20.000 Menschen geflohen sein, teilte das vom russischen Verteidigungsministerium betriebene "Versöhnungszentrum" mit. Seit der Öffnung von Fluchtkorridoren hätten mehr als 68.000 Menschen das Kampfgebiet verlassen.

Das syrische Staatsfernsehen zeigte Flüchtlingskonvois, die aus Ost-Ghouta in die Regierungszone strömten: Schwarzgekleidete ältere Frauen, Mädchen mit Decken im Arm, Männer mit Bündeln auf der Schulter, ein Vater mit einem Fahrrad, seinem kleinen Sohn und einem riesigen Jute-Sack.

Die syrischen Regierungstruppen hatten im Februar eine großangelegte Offensive auf Ost-Ghouta gestartet. Seither wurden nach Aktivistenangaben mehr als 1400 Zivilisten getötet. Die Regierungstruppen kontrollieren inzwischen rund 80 Prozent von Ost-Ghouta. In dem seit sieben Jahren wütenden Bürgerkrieg sind die Angaben der in Großbritannien ansässigen Beobachtungsstelle - wie auch jene der Konfliktparteien - nur schwer zu überprüfen.

(APA/dpa/Reuters/AFP)

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