Putin vor vierter Amtszeit: Kirtagstimmung am Wahltag

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Attraktionen, günstige Lebensmittel und Musik sollten möglichst viele Bürger an die Urnen ziehen. In einem Plattenbauviertel im Süden Moskaus sah es aus, als würde die Strategie aufgehen. Eine Reportage.

Vor den Wahllokalen Nummer 1910 und 1911 im südlichen Moskauer Wohnbezirk Nagornij klingen aus Lautsprechern alte Moskauer Schlager, Kinder spielen Hockey und halten Luftballons in der Hand. Auf einem steht: „Mein Papa hat den Präsidenten gewählt.“ Im Wahllokal empfängt einen ein Ausrufer: „Sie kommen wählen? Hier nach links!“ Der Weg führt durch einen engen Gang, an dem man sich an Tischen vorbei durchkämpfen muss, auf denen Waren aller Art zu günstigen Preisen verkauft werden: Salami, Konservendosen, Äpfel und Schürzen für die Hausfrau. Eine Dame verteilt Kalender und Anstecker, auf denen steht: „Ich habe den Präsidenten Russlands gewählt.“ Das Wahllokal ist in einer Turnhalle untergebracht. Bei der Ausgabe der Wahlzettel stehen Bürger in kleinen Schlangen an.

Der Wahltag als Feiertag für die ganze Familie: Mit einer noch nie dagewesenen Mobilisierungskampagne sollten am Sonntag möglichst viele der knapp 109 Millionen Wahlberechtigten in Russland zu den Urnen schreiten. Zwar hatte niemand Zweifel, dass der Sieger Wladimir Putin heißen würde, jedoch sollte das Votum für seine vierte Amtszeit eindeutig ausfallen. Und dazu war vor allem eine hohe Wahlbeteiligung vonnöten. In den letzten Wochen hatte die Zentrale Wahlkommission eine Werbekampagne durchgeführt, in der U-Bahn und in Zügen war für die Teilnahme geworben worden. Wahllokale hatten sich herausgeputzt und warben mit Konzerten und sonstigen Veranstaltungen um Besucher.

Höhere Wahlbeteiligung als zuletzt

Am frühen Sonntagnachmittag schien es, dass die Rechnung der Behörden aufgehen würde. Tatsächlich berichteten die Wahlbehörden diesmal durchgehend von einer höheren Beteiligung. Bis 10.00 Uhr Moskauer Zeit hätten 16,55 Prozent der Wähler abgestimmt, sagte Wahlleiterin Ella Pamfilowa. Das seien zweieinhalb Mal mehr als 2012. In einem Wahllokal im Süden der Hauptstadt, das die „Presse.com“ besuchte, sprach man um 12.00 Uhr von mehr als 20 Prozent Wahlbeteiligung. Um 15.00 Uhr betrug sie in Moskau 40 Prozent. Die Wahllokale waren bis 20 Uhr Ortszeit geöffnet. Am Nachmittag erwartete man noch mehr Familien und Jugendliche.

2012 hatten nach offiziellen Angaben 65,3 Prozent der Wähler teilgenommen. Putin siegte mit 64,4 Prozent. In russischen Medien kursierten dieses Mal die Zahlen 70/70: 70 Prozent Wahlbeteiligung und 70 Prozent Zustimmung für Putin.

„Die Behörden sind an einer hohen Wahlbeteiligung interessiert“, sagt Dmitrij Kusnezow von der Wahlbeobachterorganisation Golos. Er erwartete in Moskau eher wenig Wahlfälschungen – auch weil hier in so gut wie jedem Wahllokal unabhängige Beobachter stationiert waren. „Anders sieht es in Regionen aus, wo es kaum unabhängige Beobachter gibt.“ Als Problemregionen gelten etwa die Nordkaukasus-Republiken, Mordowien, Tschuwaschien, Baschkirien oder der Ferne Osten.

Im Wahllokal Nummer 1910 haben Larissa und Natalia Schigarina ihre Stimme abgegeben. Die 55-jährige Mutter Larissa hat für den Amtsinhaber Putin gestimmt: „Er ist ein starker Präsident, er kennt sich aus.“ Die 28-jährige Tochter hat sich für die Kandidatin Ksenia Sobtschak entschieden – auch wenn sie chancenlos ist. „Sie stellt kritische Fragen, das gefällt mir“, sagt Natalia Schigarina. „Und warum sollte eine Frau nicht auch Präsidentin werden können?“ Beide sind überzeugt, eine echte Auswahl an Kandidaten gehabt zu haben – auch wenn der Sieger feststehe, wie sie sagen.

Schwierigkeiten für Nawalny

Überschattet wird die Wahl aber von vielen Belegen für kleinere und größere Manipulationen. Wahlbeobachter des Oppositionellen Nawalny beklagten, ihnen sei der Zugang zu vielen Wahllokalen verwehrt worden. Die zentrale Wahlkommission wiederum teilte mit, ihr Computernetzwerk habe Cyberattacken aus 15 Ländern abwehren müssen. Die Server seien mit Massenanfragen (DDoS) überschwemmt worden, um sie zum Absturz zu bringen, sagte Wahlleiterin Pamfilowa.

Auch staatliche Betriebe, Universitäten und Schulen übten - wie bereits bei früheren Wahlen - Druck auf ihre Mitarbeiter aus. Auf der "Karte der Verletzungen" der Wahlbeobachter von Golos wurden zahlreiche Verstöße eingetragen.

Nach russischen Angaben sind mehr als 1300 ausländische Beobachter bei der Wahl aktiv. Allein die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) setzt fast 600 Beobachter ein. Sie will am Montag ihre Einschätzung zu der Wahl verkünden.

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