Die Union ist "noch längst nicht überm Berg"

Horst Seehofer hat in seiner CSU die volle Rückendeckung - in Bayern wird heuer gewählt.
Horst Seehofer hat in seiner CSU die volle Rückendeckung - in Bayern wird heuer gewählt.REUTERS
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"Wir haben die Thematik nicht im Griff", sagt der deutsche Innenminister Seehofer, der Grenz-Abschiebungen vorbereiten will. Kenzlerin Merkel soll Ende Juni beim EU-Gipfel die Möglichkeit bekommen, eine europäische Lösung zu schaffen.

Atempause im Asylstreit in Deutschland: Die CSU gibt der deutschen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) im Streit über die Zurückweisung von Migranten eine Frist für eine europäische Lösung bis Ende Juni. Der CSU-Vorstand billigte am Montag einstimmig einen entsprechenden Vorschlag von CSU-Chef und deutschem Innenminister Horst Seehofer. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) muss also innerhalb von zwei Wochen eine europäische Lösung schaffen. Sollte die CSU damit nicht zufrieden sein, bliebe das weitere Vorgehen aber unklar.

Seehofer will mit Zurückweisungen von Migranten an der Grenze beginnen, die Asylanträge in anderen Ländern gestellt haben. Merkel sieht darin aber keinen Automatismus. Sie erinnerte Seehofer sogar an ihre "Richtlinienkompetenz" als Kanzlerin, die politischen Grundlinien der Regierung vorzugeben, und warnte ihn vor einem Alleingang.

Seehofer (CSU) sagte später, dass CDU und CSU in ihrem Flüchtlingsstreit "noch längst nicht überm Berg" seien. Er bedaure sehr, dass die nun gewährte Frist von zwei Wochen für die deutsche Kanzlerin Angela Merkel für so viel Faszination sorge, sagte Seehofer am Montag nach einer CSU-Vorstandssitzung in München vor Journalisten. Es gehe "nur vordergründig" um diese zwei Wochen - "in der Substanz" gehe es um die grundlegenden Fragen des Streits, hieß es weiter.

Zuerst Merkel

Um kurz nach 14 Uhr trat Merkel in Berlin vor die Presse und verkündete den vorläufigen Kompromiss. CSU und CDU würden gemeinsam das Maß von Migration steuern wollen. "Uns leitet, dass wir für Sicherheit nach innen und außen einstehen." Die CDU unterstütze die Initiative von Innenminister Seehofer dabei, einen Masterplan Migration zu erstellen. Doch müsse man deutsche und europäische Interessen gemeinsam wahrnehmen. Flüchtlinge, die bereits einmal aufgrund eines Asylantrags in ein anderes Land (mit dessen Einverständnis) zurückgeschoben wurden, dürften ab sofort nicht mehr nach Deutschland einreisen. Nach dem EU-Gipfel Ende Juni werden die Unions-Parteien mit Blick auf das Gipfelergebnis weitere Schritte beraten. Es gebe keinen Automatismus für weitere Maßnahmen von Seehofer. Es sei eine "ernste Debatte" gewesen im Geiste, auch weiterhin mit der CSU zusammenarbeiten zu wollen. Unabgestimmte Zurückweisung von Flüchtlingen könnten einen Dominoeffekt auslösen und eine europäische Einigung gefährden. 

Die CDU lässt sich nach Angaben von Merkel in der Flüchtlingspolitik von der CSU nicht unter Druck setzen. Nach dem EU-Gipfel Ende kommender Woche werde die CDU zunächst intern und dann auch mit der CSU die bis dahin erzielten Fortschritte beraten, sagte Merkel am Montag in Berlin. Für eine Zurückweisung von Flüchtlingen aber gebe es "keinen Automatismus".

Dann Seehofer

Seehofer betonte in seiner Pressekonferenz - noch während Merkel Fragen von Journalisten beantwortetet - seinerseits in München die Einstimmigkeit der CSU-Beschlüsse. Er habe seinen Migrationsplan mündlich vorgestellt und nicht verteilt. Nächste Woche soll der Plan schließlich schriftlich an die Abgeordneten verteilt werden. Der Plan sei so etwas "wie ein Leitfaden für die Arbeit des Bundesinnenministers", der auf dem Koalitionsvertrag fuße. Es gebe Dinge, die dringend geändert werden müssen - etwa die fehlende Mitwirkungspflicht von Asylwerbern bei Anhörungen. "Wir haben die ganze Thematik nicht im Griff", sagte Seehofer generell über die Zuwanderungspolitik und die Rechtssicherheit in Deutschland. "Wir als CSU unterstützen auf diesem Feld jedes Bemühen um europäische Lösungen", betonte Seehofer. Das gelte auch für die Bemühungen von Merkel und jene der österreichischen Ratspräsidentschaft, die den Schutz der EU-Außengrenzen ins Zentrum stelle.

Auch in der großen Streitfrage mit Merkel sei man CSU-intern einig: Sowohl Migranten mit Einreiseverbot, als auch Personen, die in anderen Ländern ein Asylverfahren laufen haben, an der Grenze abzuweisen. Das sei ohne Probleme machbar. Er hoffe auf eine "wirkungsgleiche" Lösung auf europäischer Ebene. Es sei unerklärlich, dass Menschen mit Einreisesperre trotzdem einreisen könnten. "Im Grunde ist das ein Skandal", sagte Seehofer. Das könne man niemandem erklären.

Wie der frühere Innenminister Hans-Peter Friedrich am Montag über Twitter aus dem CSU-Vorstand berichtete, wird Seehofer für "Anfang Juli" die von ihm geplanten Zurückweisungen bestimmter Flüchtlinge an der deutschen Grenze aber vorbereiten. Friedrich bestätigte Angaben aus CSU-Kreisen, wonach ab sofort an den deutschen Grenzen Asylwerber zurückgewiesen werden, für die ein Einreise- oder Aufenthaltsverbot in Deutschland gilt.

Vollste CSU-Rückendeckung für Seehofer

Führende CSU-Politiker haben dem deutsche Innenminister Horst Seehofer Rückendeckung für seine Pläne gegeben. "Wir als CSU stehen. Wir sind geschlossen", sagte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder vor einer CSU-Vorstandssitzung in München vor Journalisten. Es sei der Zeitpunkt, eine "Asylwende" in Deutschland einzuleiten. Dies werde auch von der Mehrheit der Deutschen so gesehen.

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte, Seehofer habe die 100-prozentige Unterstützung seiner Partei. "Wir brauchen eine Neuordnung des Asylsystems", sagte Dobrindt. Er wolle, dass der Masterplan Seehofers inklusive der mit der CDU umstrittenen Frage der Zurückweisung umgesetzt wird.

Seehofer will Sozialhilfe für Asylwerber hinauszögern

Seehofers "Masterplan Migration" enthält einem Medienbericht zufolge aber weitere Punkte, die zum Sprengstoff für die große Koalition werden könnten. Wie die "Augsburger Allgemeine" (Montagsausgabe) unter Berufung auf Informationen aus CSU-Kreisen berichtete, sieht Seehofers Plan auch vor, Geldzahlungen an Flüchtlinge künftig massiv einzuschränken und nahezu komplett auf Sachleistungen umzustellen.

Außerdem sei geplant, den Zeitraum, in dem Asylbewerber nur einen Grundbedarf erstattet bekommen, bevor sie Leistungen auf dem Niveau der Sozialhilfe erhalten, von 15 auf 36 Monate zu verlängern. In beiden Punkten sei mit Widerstand vom Koalitionspartner SPD zu rechnen. Die Veröffentlichung seines "Masterplans" hatte Seehofer wegen des Konflikts mit Merkel in der vergangenen Woche vorerst abgesagt.

Nach Informationen der Zeitung will Seehofer außerdem das wegen der Bremer Asylaffäre in die Schlagzeilen geratene Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf), dessen Chefin Jutta Cordt er gerade entlassen hat, umbenennen.

Nichts geht ohne SPD

Nicht zu vergessen in dem Streit sei die dritte Koalitionpartei. Die SPD fordert im Streit um die Flüchtlingspolitik von der Union die Einberufung des Koalitionsausschusses noch vor dem EU-Gipfel in knapp zwei Wochen. Das teilte SPD-Chefin Andrea Nahles am Montag in Berlin mit. Weiter sagte Nahles, die SPD wolle beschleunigte Asylverfahren für Flüchtlinge in Deutschland, die bereits in anderen EU-Ländern registriert wurden.

Mit Blick auf die Meinungsverschiedenheiten zwischen Merkel und Seehofer über eine Zurückweisung solcher sogenannter Dublin-Fälle bereits an den Grenzen stellte Nahles klar: "Es gibt keinen Automatismus, dass wenn Herr Seehofer und Frau Merkel sich einig sind, wir das unterstützen." Seehofer beharrt auf solchen Zurückweisungen auch in einem nationalen Alleingang, Merkel will versuchen, bis zu dem EU-Gipfel europäische Lösungen zu erreichen, was ihr die CSU nun auch zugesteht.

Nahles schlug stattdessen vor, die beschleunigten Verfahren, die es bereits für Asylsuchende aus sogenannten sicheren Herkunftsländern gibt, auch auf Flüchtlinge anzuwenden, die schon in anderen EU-Staaten Asyl beantragt haben. Solche Verfahren könne man dann "innerhalb einer Woche abwickeln" und die Menschen gegebenenfalls dann wieder in das Land der Erstregistrierung zurückschicken. Über den SPD-Vorschlag soll demnach das Parteipräsidium am Abend beraten.

(APA/Reuters/dpa)

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