Wie der beispiellose Kampf um Brett Kavanaugh ein Land spaltet

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Mit dem Votum des US-Senats für Brett Kavanaugh ist der Kampf um den Supreme-Court-Sitz vorerst beendet. Doch die gesellschaftlichen Verwerfungen, die dahinter stehen, sind keineswegs überwunden.

Was sich in den vergangenen Wochen in den USA abspielte, sucht seinesgleichen. Das Land wird lange brauchen, um sich von den Verwerfungen rund um die Supreme-Court-Berufung von Brett Kavanaugh zu erholen. Wenn überhaupt. Vorerst dürfte es noch heftiger werden.

Mehrere Hundert Demonstranten stehen vor dem Supreme Court, drängen sich vor der Tür des altehrwürdigen Gerichts, während drinnen Brett Kavanaugh darauf wartet, seinen Amtseid zu leisten. Die Protestler draußen brüllen an gegen die Ernennung des 53-Jährigen zu einem der einflussreichsten Richter des Landes. Vergebens. US-Präsident Donald Trump spottet aus der Ferne - wie so oft per Twitter -, die Gruppe an Demonstranten vor dem höchsten US-Gericht sei "winzig" - so klein, dass sie nicht mal die ersten paar Reihen bei seinem Wahlkampfauftritt in Kansas füllen würden.

Kurz darauf lässt sich Trump etwa 1.600 Kilometer entfernt - eben dort, in Kansas - vor seinen Anhängern bejubeln für Kavanaughs Ernennung zum Supreme-Court-Richter. Er kann kaum an sich halten vor Stolz über diesen politischen Triumph. Denn Kavanaugh ist seine Wahl.

Trump wirkt in Kansas wie berauscht von sich selbst, spricht von einem "gewaltigen Sieg" und einem "historischen Tag". Einen neuen Supreme-Court-Richter einzusetzen - das sei überhaupt das Größte, was ein Präsident leisten könne, ruft er da in den Saal.

Trumps Kandidat hat es auf einen der neun Richterposten an den obersten Gerichtshof der USA geschafft, obwohl ihm mehrere Frauen sexuelle Übergriffe vorwerfen. Kavanaugh weist die Anschuldigungen vehement zurück. Nach Wochen atemloser politischer Kämpfe hat der US-Senat den Richter nun bestätigt - in einer historisch knappen Entscheidung, die das Land noch lange beschäftigen wird.

Gräben werden sichtbar

Der Fall Kavanaugh hat die Gräben, die die USA seit langem durchziehen, noch breiter und tiefer gemacht: zwischen Republikanern und Demokraten, zwischen Trumps Unterstützern und Gegnern, zwischen konservativen und liberalen Teilen der Gesellschaft. Was sich in den vergangenen Wochen im Fall Kavanaugh abspielte, war nicht nur der Kampf um einen Schlüsselposten im Justizsystem der USA, sondern auch ein Kampf um Wertvorstellungen, Geschlechterrollen und die Frage, welche Richtung die amerikanische Gesellschaft einschlägt. Der Kongress wurde zum Austragungsort dieses erbitterten Konflikts.

Bis zum Schluss protestierten Kavanaugh-Gegner gegen die Ernennung des erzkonservativen Richters: vor dem Senatsgebäude und drinnen, selbst im Senatssaal, noch während der Abstimmung. Und später eben vor dem Supreme Court. Ihr Widerstand blieb folgenlos.

Das Votum für Kavanaugh fiel denkbar knapp aus: 50 Senatoren stimmten für ihn, 48 gegen ihn. So eng war es fast noch nie in der langen Geschichte des Supreme Courts. Nominierungen für das Gericht, bei denen der Senat das letzte Wort hat, sind zwar seit jeher ein heikles Feld, weil die Richter Grundsatzentscheidungen für die Gesellschaft treffen und auf Lebenszeit ernannt werden. Seit der Gründung des Gerichts 1789 überstanden Dutzende Kandidaten den Nominierungsprozess nicht. Und in den vergangenen Jahrzehnten wurden die Entscheidungen zunehmend umkämpft. Aber so heftig wie bei Kavanaugh, so spaltend, so unversöhnlich und für alle Beteiligten schmerzhaft, war es noch nie.

Mit dem Votum des US-Senats ist der Kampf um den Supreme-Court-Sitz zwar vorerst beendet. Doch die gesellschaftlichen Verwerfungen, die dahinter stehen, sind keineswegs überwunden. Im Gegenteil. Der Fall hat große Bedeutung für die anstehenden Kongresswahlen im November.

Für Trump ist das Votum - trotz des knappen Ausgangs - ein großer Erfolg. Er hatte Kavanaughs Berufung bei seinen Anhängern als eine seiner größten Errungenschaften verkauft. Nun hat er geliefert. Der US-Präsident gab seine anfängliche Zurückhaltung in der Debatte schnell auf und versuchte mit aller Macht, seinen Kandidaten durchzusetzen. Er scheute sich dabei nicht, die Gräben zu vertiefen - und schreckte auch nicht davor zurück, Christine Blasey Ford öffentlich anzugreifen. Jene Frau, die Kavanaugh einer versuchten Vergewaltigung vor 36 Jahren beschuldigt. Ein US-Präsident, der bei einem Wahlkampfauftritt ein mutmaßliches Missbrauchsopfer nachäfft und dessen Glaubwürdigkeit in Frage stellt - das ist beispiellos.

Trump bediente damit seine streng konservative und männlich geprägte Anhängerschaft. Viele von ihnen hat er damit vermutlich auf lange Sicht an sich gebunden. Andere wiederum - vor allem liberale und bisher unentschlossene Frauen - dürfte er verprellt haben.

Beide Lager mobilisiert

Es sind nur noch wenige Wochen, bis die Amerikaner ein neues Repräsentantenhauses wählen, und auch ein Drittel der Sitze im Senat. Kavanaugh ist jetzt schon ein wichtiges Wahlkampfthema. Es wird noch bedeutsamer werden. Die aufgeheizte Debatte mobilisiert beide Lager. Trump wird Kavanaughs Ernennung im Wahlkampf wohl weiter als Erfolg bejubeln und die Demokraten als Möchtegern-Blockierer verunglimpfen. Die Demokraten wiederum haben schon angekündigt, dass sie eine mögliche Absetzung Kavanaughs zum Wahlkampfthema machen wollen - auch wenn die Chancen darauf nicht sonderlich groß sind. Aus ihren Reihen kommt außerdem die Drohung, eine parlamentarische Untersuchung des Falls in Gang zu setzen, falls sie die Mehrheit im Repräsentantenhaus holen. Darauf haben sie schon eher Aussicht.

Aber wer wird bei der Wahl am Ende mehr vom Kulturkampf rund um die Kavanaugh-Berufung profitieren? Das ist schwer abzuschätzen.

Und Kavanaugh selbst? Die Vorwürfe hängen ihm nach - trotz aller Unschuldsbekundungen. Vor allem hängt ihm aber nach, wie er in der Debatte agiert hat. In der Senats-Anhörung zu den Anschuldigungen verlor der Richter jede Fassung, wütete, brüllte, ging demokratische Senatoren mehrfach aggressiv an und nannte die Missbrauchsvorwürfe eine politische Kampagne des linken Lagers. Ist jemand, der so auftritt - unabhängig von allen Missbrauchsvorwürfen - geeignet für einen Sitz am höchsten US-Gericht? Die Demokraten und viele Bürger sagen Nein und meinen, Kavanaugh habe sich mit seinen Ausbruch völlig disqualifiziert als unabhängiger Richter. Und: Sie befürchten Schlimmes für die Rechtsprechung des Landes. Denn mit Kavanaughs Stimme hat das Gericht nun ein konservatives Übergewicht. Republikaner preisen ihn dagegen als Heilsbringer für die USA.

Klar ist eines: Das Ansehen des Supreme Courts hat durch den gesamten Prozess sehr gelitten. Bisher war das Gericht eine der letzten - noch einigermaßen respektierten - Instanzen, die über den politischen Schlachten des Landes schwebte. Die Zeit ist nun vorbei

(APA/dpa)

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