Großbritannien: Der Dame droht das Schachmatt

Neuwahlen? Neue Volksabstimmung? Eher wird die britische Regierungschefin May um einen Brexit-Aufschub bitten.
Neuwahlen? Neue Volksabstimmung? Eher wird die britische Regierungschefin May um einen Brexit-Aufschub bitten. (c) REUTERS (FRANCOIS LENOIR)
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Der Premierministerin Theresa May gehen im Brexit-Prozess die Optionen aus. Ein Zeitaufschub könnte zu einem dramatischen Finale im Parlament führen. Die Szenarien.

London. In dieser Woche wird der Brexit erstmals Realität: Containerschiffe, die von nun aus dem südenglischen Southampton nach Australien ablegen, werden an ihrem Zielort erst nach dem geplanten EU-Austrittsdatum am 29. März eintreffen. Nach welchen Tarifen und Bestimmungen die Ladung an Land gebracht werden kann ist weiter völlig unklar. Immer noch ist unabsehbar, wann und wie Großbritannien aus der EU austreten wird. Wenn Premierministerin Theresa May am Mittwoch wieder vor das Unterhaus tritt, wird sie nach Angaben der „Sunday Times" um einen Zeitaufschub bitten. Doch ihre Position wird zunehmend ausweglos, und wenn sie nicht rasch eine mehrheitsfähige Lösung präsentieren kann, schlittert Großbritannien Ende März in einen harten Brexit ohne Vereinbarung. Folgende Optionen sind auf dem Tisch:

Deal nach Resolution des Unterhauses

Die Konservativen und die nordirische DUP setzten Ende Jänner mehrheitlich einen Antrag im Parlament durch, wonach die Auffanglösung für die innerirische Grenze (Backstop) durch „alternative Vereinbarungen" ersetzt werden soll. Auf dieser Grundlage führte May in der Vorwoche neue Gespräche in Belfast, Brüssel und Dublin. Das einhellige Ergebnis: Die EU ist nicht zu einem Verzicht auf den Backstop bereit. Bleibt es dabei, wird May im Unterhaus scheitern, denn neben der Opposition werden auch erhebliche Teile des eigenen Lagers gegen sie stimmen.

Brexit-Deal mit weiteren Zusagen

Während die EU den Brexit-Deal nicht noch einmal zu verhandeln bereit ist, hat Brüssel Gesprächsbereitschaft über die begleitende „politische Deklaration" zu erkennen gegeben. Annäherungsversuche mittels Befristung oder gemeinsamer Schlichtungsstellen zum Backstop stießen bei den Brexit-Fundamentalisten bisher aber auf Ablehnung. Auch Irland gibt sich unnachgiebig. Die Tatsache, dass bei einer Ablehnung ein No- Deal-Brexit kommt, wird die Brexit-Ultras nicht abhalten, eine derartige Vereinbarung niederzustimmen. Auch in diesem Fall wird May scheitern.

Weicher Brexit nach Labour-Vorgaben

In einem sind sich May und Oppositionschef Jeremy Corbyn einig: Beide wollen den Brexit umsetzen. Corbyn hat fünf Forderungen vorgestellt, die auf einen weichen Austritt hinauslaufen, zugleich aber auch eine zweite List verfolgen: Wenn May darauf eingeht, hat sie zwar eine Mehrheit im Parlament, aber um den Preis der Spaltung ihrer Partei. Denn für die konservativen Ultras sind etwa der Austritt aus der Zollunion oder ein Ende der Anpassung an den Binnenmarkt nicht verhandelbar. Wenn jemand diesen Schritt wagt, dann wird es nicht May sein. Wer aber eine solche Palastrevolte anführen könnte oder wollte ist auch offen.

May wirft die Spielsteine um

Angesichts ihrer drohenden Niederlage könnte May versuchen, das Spiel neu zu beginnen. Gerüchte über blitzartige Neuwahlen wollen nicht verstummen, die Konservativen sehen sich durch Umfragen ermutigt, wonach sie sieben Punkte vor Labour liegen, und im Land sind angeblich Vorbereitungen wie die Auswahl von Kandidaten, das Drucken von Werbematerial und die Buchung von Sendezeit im Gang. Zugleich sind sich aber die meisten politischen Beobachter einig, dass Neuwahlen wieder nur eine Pattstellung bringen würden. Manche Anhänger einer neuen Volksabstimmung hoffen sogar, dass May eher noch einmal das Volk befragen als ihre Niederlage akzeptieren würde.

Das Endgame: Take It Or Leave It

Nicht nur unter der Opposition wird nicht mehr darüber gerätselt, ob – sondern wann die britische Regierung um einen Zeitaufschub bitten wird. May will dabei aber trotz vielfacher Aufforderung offenbar nicht zur EU, sondern zu ihren Abgeordneten gehen: Bis 26. Februar werde sie einen überarbeiteten Deal vorlegen, wird sie nun versprechen. Bereits am 27. Februar will Labour dann eine Abstimmung, denn die Opposition fürchtet, dass May die Entscheidung bis nach dem EU-Gipfel am 21./22. März hinauszögern möchte: In der letzten Woche vor dem Brexit bliebe dem Unterhaus nur mehr eine „Friss-oder-Stirb!"-Wahl zwischen Mays Deal oder einem No Deal. Das Containerschiff aus Southampton droht zu einem Geisterschiff zu werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.02.2019)

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