Peking plagt die Angst vor sozialen Unruhen: Die Wirtschaft schwächelt, gefährliche Jubiläen stehen bevor. Premier Li Keqiang kündigt Steuersenkungen und Jobprogramme an.
Wien/Peking. Von einer „ernsten“ Lage, von „Herausforderungen“ und einem „harten Kampf“, der bevorstehe, sprach Chinas Premier Li Keqiang, als er am Dienstag vor die 3000 Abgeordneten des Nationalen Volkskongresses trat. Es ist ein jährlich stattfindendes Polit-Spektakel, mit dem sich die Volksrepublik als Demokratie mit „einzigartigen chinesischen Charakteristika“ präsentieren will. Doch der triumphale Ton des vergangenen Jahres, als sich Staats- und Parteichef Xi Jinping zum Führer auf Lebenszeit ernennen ließ, ist Bedrückung gewichen.
2019 wird für China schwierig: Gerade im Jahr der sensiblen Jubiläen – allen voran der 30. Jahrestag der Niederschlagung der Tiananmen-Proteste – kriselt die Wirtschaft. Der Handelskrieg mit den USA und damit sinkende Investitionsbereitschaft von Konsumenten und Firmen, Umweltauflagen für die Industrie und strengere Kreditvergaberegeln zum Abbau des gigantischen Schuldenbergs dämpften die Wirtschaftsentwicklung. Peking strebt daher für 2019 ein Wachstum zwischen 6,0 und 6,5 Prozent an. Es ist die niedrigste Rate seit fast 30 Jahren.
Für die weltweit zweitgrößte Volkswirtschaft mit einem Bruttoinlandsprodukt von rund zwölf Billionen Euro ist es dennoch ein ambitioniertes Ziel. Beobachter halten die offiziellen Zahlen für geschönt. Mit Steuer- und Gebührensenkungen über zwei Billionen Yuan (260 Mrd. Euro), besonders für Fertigungs-, Bau-, Transportsektor, und einer Erhöhung des Budgetdefizits auf 2,8 Prozent will Peking die angekündigten Wachstumsraten erreichen.
Verteidigungsbudget wächst weiter
Finanzhilfen für Klein- und Mittelunternehmen sollen den Privatsektor befrieden, der immer lauter über die Allmacht des Staatssektors klagt. Gleichzeitig steht die Führung unter Druck, ihr eigenes Versprechen einzulösen: Sie will China bis 2020 zu einer „gemäßigt wohlhabenden Gesellschaft“ machen.
So stand auch die Angst vor sozialen Unruhen im Fokus der knapp zweistündigen Rede Lis – besonders vor dem Hintergrund landesweiter Studenten- und Arbeiterproteste im vergangenen Jahr, einem nationalen Impfskandal und der rasant alternden Bevölkerung.
Chinas Nummer zwei wandte sich daher direkt an die Bevölkerung und gestand Aufholbedarf im Bildungs- und Gesundheitssystem, in der Altenversorgung, bei Lebensmittelsicherheit und Einkommensverteilung ein. Erstmals machte die Regierung Beschäftigung in ihrer Jahresplanung zur Priorität. In den Städten will Peking mehr als elf Millionen Jobs schaffen, auf dem Land die berufliche Weiterbildung fördern.
Die Führung steht vor einem Drahtseilakt. Sie muss einerseits den Verlust von Arbeitsplätzen verhindern, um soziale Stabilität zu garantieren. Andererseits muss sie die Konjunkturhilfen in Grenzen halten. Schon jetzt ist die Staatsverschuldung von mehr als 300 Prozent eine der größten Gefahren für Chinas Wirtschaft. Dennoch erhöht die aufstrebende Weltmacht ihr Verteidigungsbudget einmal mehr – um 7,5 Prozent zum Vorjahr. Schließlich gehe es darum, sagte Li, „Chinas Souveränität, Sicherheit und Entwicklungsinteressen zu garantieren“.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.03.2019)