Machtkampf in Venezuela erreicht neuen Höhepunkt

Soldiers ride on top of a car with supporters of Venezuelan opposition leader Juan Guaido during anti-goverment protests, in Caracas
Soldiers ride on top of a car with supporters of Venezuelan opposition leader Juan Guaido during anti-goverment protests, in CaracasREUTERS
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In Venezuela kam es am Dienstag zu heftigen Auseinandersetzungen. Der selbst ernannte Übergangspräsident Guaidó sagte Präsidenten Maduro offen den Kampf an. Maduro wiederum erklärte eine Rebellion von Soldaten für gescheitert.

Bei einer neuen Kraftprobe zwischen dem selbst ernannten Interimspräsidenten Juan Guaido und Staatschef Nicolas Maduro haben sich Regierungsgegner und staatliche Sicherheitskräfte in der venezolanischen Hauptstadt Caracas erneut heftige Auseinandersetzungen geliefert. Guaidó sagte Maduro offen den Kampf an. "Als Interimspräsident von Venezuela, als rechtmäßiger Oberkommandierender der Streitkräfte, rufe ich alle Soldaten dazu auf, sich uns anzuschließen", sagte der Oppositionsführer auf einer Schnellstraße nahe dem Luftwaffenstützpunkt La Carlota.

Demonstranten schleuderten am Dienstag Steine und Brandsätze auf die Beamten. Angehörige der Nationalgarde feuerten mit Tränengas und Schrotmunition in die Menge. Im Fernsehen war zu sehen, wie ein Panzerwagen in eine Menschengruppe raste. Nach Angaben der Opposition wurden bei den Kämpfen mindestens 69 Menschen verletzt. Die meisten seien durch Schrotkugeln verwundet worden, schrieb der Bürgermeister der Oppositionshochburg Chacao, Gustavo Duque, am Dienstag auf Twitter. Nach Angaben der Nichtregierungsorganisation Foro Penal wurden im ganzen Land mindestens 83 Menschen bei Demonstrationen festgenommen.

Zuvor hatte Guaido einige Soldaten auf seine Seite gezogen und den Rest der Streitkräfte dazu aufgerufen, Präsident Maduro die Gefolgschaft aufzukündigen und sich der Opposition anzuschließen. "Maduro hat heute nicht mehr die Unterstützung der Streitkräfte", sagte Guaido in einer Videobotschaft.

Inhaftierter Oppositionsführer befreit

Abtrünnige Soldaten befreiten zudem den seit Jahren inhaftierten Oppositionsführer Leopoldo Lopez aus dem Hausarrest. Der Gründer der Partei Voluntad Popular suchte mit seiner Frau und seiner Tochter zunächst in der chilenischen Botschaft Schutz und zog später in die diplomatische Vertretung Spaniens weiter.

Der linksnationale Präsident Maduro erklärte den Aufstand später für gescheitert. "Ich danke der Militärführung für den Mut bei der Verteidigung des Friedens", sagte er in einer Ansprache am Dienstagabend (Ortszeit). Nach seiner Darstellung wurden die Soldaten unter einem Vorwand zu einer Autobahn nahe dem Militärstützpunkt La Carlota gelockt worden. Als sie merkten, dass es sich um einen Coup der Opposition handelte, seien die meisten umgekehrt, sagte Maduro. Gegen den harten Kern von etwa 20 abtrünnigen Soldaten ermittle nun die Generalstaatsanwaltschaft. "Diese Verräter werden ihr Schicksal noch kennenlernen", sagte Maduro.

Tatsächlich gelang es der Opposition trotz des spektakulären Coups offenbar zunächst nicht, größere Truppenteile auf ihre Seite zu ziehen. Verteidigungsminister Vladimir Padrino gelobte Maduro die Treue und erklärte, alle Kasernen und Stützpunkte seien unter Kontrolle.

Auch die regierungstreuen Banden - sogenannte Colectivos - versprachen Maduro ihre Unterstützung. "Es ist der Moment gekommen, in dem wir die Revolution mit Waffen verteidigen", sagte der Chef der Gruppe La Piedrita, Valentín Santana, in einem am Dienstag veröffentlichten Video und streckte ein Schnellfeuergewehr in die Kamera. "Wir werden unseren Präsidenten Nicolas Maduro verteidigen."

Internationale Trennlinien

Während auf den Straßen von Caracas mit harten Bandagen um die Macht gerungen wurde, brachten sich auf dem internationalen Parkett die Verbündeten in Stellung. Aus den USA, Europa und vielen lateinamerikanischen Staaten erhielt Guaido Unterstützung. Russland, die Türkei, Kuba und Bolivien hingegen stellten sich hinter Maduro.

Die US-Regierung will über Informationen verfügen, wonach Maduro zur Ausreise bereit gewesen sein soll. Russland habe ihn aber überzeugt, zu bleiben, sagte US-Außenminister Mike Pompeo am Dienstag dem Sender CNN. "Es ist lange her, dass jemand Maduro gesehen hat. Er hatte ein Flugzeug auf dem Rollfeld. So wie wir es verstehen, war er bereit, heute in der Früh zu gehen. Die Russen haben ihm aber zu verstehen gegeben, dass er bleiben sollte", erklärte Pompeo. Maduro wies diese Angaben als "unseriös, unsinnig, verrückt, verlogen" zurück.

US-Präsident Donald Trump drohte der kommunistischen Regierung in Kuba, sollten kubanische Truppen und Milizen in Venezuela nicht sofort ihre militärischen und andere Operationen in Unterstützung für Maduro einstellen, würden die USA ein komplettes Embargo und Sanktionen gegen Kuba verhängen. Zahlreiche Länder der Region, die Staaten der Lima-Gruppe, riefen die venezolanischen Streitkräfte auf, Guiado als Oberbefehlshaber zu akzeptieren und aufzuhören, "ein Instrument des illegitimen Regimes zur Unterdrückung des venezolanischen Volkes zu sein."

Die Europäische Union forderte durch ihre Außenbeauftragte Federica Mogherini zu "größte Zurückhaltung" im Machtkampf. Es könne nur einen "politischen, friedlichen und demokratischen Weg" aus der Krisensituation des Landes geben, erklärte Mogherini.

Brasiliens rechtsextremen Präsidenten Jair Bolsonaro verlieh auf Twitter seiner Unterstützung für die "demokratische Wende" in Venezuela Ausdruck. Aus seinem Büro verlautete, "mehrere" venezolanische Soldaten hätten am Dienstag in der brasilianischen Botschaft in Caracas Asyl beantragt. Brasilianische Medien berichteten von 25 Militärs.

Keine US-Flüge

Die US-Luftfahrtbehörde FAA forderte die Fluggesellschaften des Landes auf, Venezuela wegen der unsicheren Lage binnen 48 Stunden zu verlassen. Dies umfasse auch Privatjets. Zudem wies die FAA amerikanische Flugzeugbetreiber an, bis auf weiteres eine Mindestflughöhe von 26.000 Fuß (knapp acht Kilometer) über Venezuela einzuhalten.

Oppositionsführer Guaido will unterdessen den Druck auf Maduro weiter erhöhen und rief seine Anhänger zu neuen Protesten am Mittwoch auf. "Wir führen die "Operation Freiheit" fort. Wir bleiben auf den Straße, bis wir das Ende der unrechtmäßigen Machtübernahme erreicht haben", sagte er am Abend. "Morgen geht ganz Venezuela auf die Straße."

(APA/dpa/Reuters/AFP)

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