Österreichs Bundespräsident gab den Brückenbauer und eröffnete mit Kreml-Chef Wladimir Putin den sogenannten Sotschi-Dialog.
Sotschi. Der Ort bildete den perfekten Hintergrund zum beschaulichen Charakter des Treffens: Vögel zwitscherten in der Parkanlage mit gepflegtem Rasen, ein Springbrunnen plätscherte, und eine von Palmen gesäumte Treppe führte hinab zum Schwarzen Meer, das verheißungsvoll blau glitzerte. Nur die über das Gelände verteilten Männer in dunklen Anzügen und mit Headsets im Ohr passten nicht in die Szenerie.
Alexander Van der Bellen traf Wladimir Putin am Mittwoch im Sanatorium Rus, einem mit Stalin'schen Säulen bestückten Koloss hinter doppelten Mauern. Nach ihrer Unterredung eröffneten beide Präsidenten ebendort das österreichisch-russische Dialogforum Sotschi-Dialog. Aus diesem Anlass war eine mehr als 50-köpfige Delegation aus Österreich an die Schwarzmeerküste gekommen: Vertreter aus Wirtschaft und Kultur sowie mehrere der insgesamt zehn Mitglieder des „Steuerungskomitees“ unter dem Vorsitz des früheren Wirtschaftskammerpräsidenten Christoph Leitl. Die dem Außenministerium zugeordnete Dialogplattform soll zu einer „weiteren Annäherung der Bürgerinnen und Bürger unserer beiden Länder beitragen“, sagte Van der Bellen bei der Eröffnung. Die Plattform solle helfen, den bilateralen Beziehungen eine „neue, besondere Qualität zu verleihen“.
Wirtschaftsmagnaten an Bord
Während die Komiteemitglieder auf österreichischer Seite schon seit März bekannt waren, wurden die russischen Kollegen gestern der Öffentlichkeit vorgestellt. Kreml-Berater Andrej Fursenko ist der Vorsitzende auf russischer Seite. Er hat die Kuratoren der Arbeitsgruppen prominent besetzt: Mit dabei sind Mäzenat und Alfa-Bank-Chef Pjotr Awen, Lukoil-Vizepräsident Andrej Kusjajew, Tass-Vizegeneraldirektor Michail Gusman, die Direktorin des Moskauer Puschkin-Museums, Marina Loschak, und einige Wissenschaftler. Auch Sergej Roldugin, der das Haus der Musik in St. Petersburg leitet und ein enger Freund Putins ist, sitzt im russischen Steuerungskomitee. Er war auch für das klassische Konzert verantwortlich, das die Präsidenten am Abend besuchten.
Die Kosten des Dialogforums teilen sich Österreich und Russland. In Österreich sollen Projekte aus dem laufenden Budget finanziert werden. Konkret geplant sind bereits zwei Side Events beim Wirtschaftsforum in St. Petersburg Anfang Juni.
Auch Sponsorengelder werden gesucht – hier könnte sich die Wirtschaftsdominanz der Veranstaltung bezahlt machen. Vertreter von mehr als einem Dutzend mittelgroßer Unternehmen (darunter Backaldrin, Pipelife, Schneider, Saubermacher) begleiteten den Bundespräsidenten in Sotschi. Ein Vertreter der OMV – sonst häufig Anlass für Politikerbesuche in Russland – war nicht darunter. Gazprom-Chef Alexej Miller wurde jedoch im Sanatorium gesichtet. Und das umstrittene Pipelineprojekt Nord Stream 2 war Thema. „Wir schätzen die österreichische Position“, sagte Putin. Und Van der Bellen bekräftigte: „Die OMV hat nicht die geringste Absicht, aus dem Projekt auszusteigen.“ Putin tat seinen Unmut kund: „Mit den Türken ist es einfach. Erdoğan trifft eine Entscheidung, und die gilt. In der EU müssen erst 27 zustimmen – ein Trauerspiel.“
Wiedersehen in Salzburg
Nächster Austragungsort des Dialogs wird Salzburg sein. Dorthin lud Van der Bellen Putin auch für 2020 ein – zum 100-jährigen Jubiläum der Festspiele. Putin bedankte sich richtiggehend gerührt für die Einladung.
Kritik, dass in dem Gremium zivilgesellschaftliche Vertreter nicht beteiligt seien, wies Van der Bellen in einem Gespräch mit Journalisten zurück. „Das finde ich eigentlich gar nicht.“ Man solle dem Gesprächsforum eine Chance geben. „Es ist einen Versuch wert.“ In drei bis fünf Jahren werde man erste Ergebnisse auswerten können.
Die Neugründung eines Gesprächsforums mit derart enger Kreml-Anbindung ist in der derzeitigen Ost-West-Krise nicht unumstritten. In der Ukraine trägt Moskau nicht zur Entspannung bei; seit Kurzem stellt es russische Pässe für die Bewohner der ostukrainischen Separatistengebiete aus – für Kiew eine Provokation. Eine Aufhebung der EU-Sanktionen ist in weiter Ferne. Auch in anderen internationalen Konfliktherden reklamiert der Kreml Mitspracherecht – wenn nötig mit Waffengewalt.
Ist das Gesprächsforum also gerechtfertigt? Außenministerin Karin Kneissl argumentiert, etwas gegen die „weit verbreitete Sprachlosigkeit“ tun zu wollen. Wohlwollende Stimmen deuten die Einrichtung auch als Kontaktbörse für die Zeiten nach den Sanktionen – oder gar nach Putin. Beides könnte noch dauern. Klar ist: Der Kreml möchte eine möglichst zahme Veranstaltung. Bei der Eröffnung sparte der Sotschi-Dialog heikle Fragen aus. Oder wie Van der Bellen sagte: „Es ist wichtig, im Dialog zu bleiben. Ungeachtet dessen, dass man einmal punktuell unterschiedlicher Meinung sein kann.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.05.2019)