Georgien in Aufruhr wegen umstrittenen Russen-Auftritts

APA/AFP/VANO SHLAMOV
  • Drucken

Analyse. Der Auftritt eines russischen Politikers im Parlament sorgt für eine Regierungskrise. Die Demonstranten fordern Neuwahlen. Moskau empört sich über die „Provokation“ und setzt Flüge nach Georgien aus.

Tiflis/Wien. Er übernehme die „Verantwortung vor dem Volk“, sagte Irakli Kobachidse. Der georgische Parlamentspräsident trat am Freitag nach einer Nacht der Krawalle zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften mit 240 Verletzten zurück. Was sich in seiner Abwesenheit – Kobachidse war in Aserbaidschan gewesen – tags zuvor an seinem Arbeitsplatz ereignet hatte, ist unmittelbarer Anlass für die Krise in der Südkaukasusrepublik. Für viele war es ein Affront, dass ausgerechnet ein russischer Politiker in Kobachidses Stuhl gesessen war und das Plenum auf Russisch angesprochen hatte.

Die Folge war ein Aufschrei, zuerst der Oppositionsabgeordneten, später Tausender ihrer Anhänger auf der Straße. Am Freitagabend (19 Uhr Ortszeit) sammelten sich erneut Demonstranten im Zentrum Tiflis'. Sie fordern mittlerweile den Rücktritt der Regierung und Neuwahlen. Ob Kobachidses Rückzug also die Lage beruhigen wird, ist unklar.

Moskau bezeichnete die Vorfälle als „Provokation". Präsident Wladimir Putin verbot per Erlass mit 8. Juli Flüge russischer Airlines nach Georgien – aus Sicherheitsbedenken, wie es heißt.

Kein Durchbruch in den Beziehungen

Konflikte zwischen georgischer Regierung und Opposition gibt es viele. Ein ganz zentraler ist das Verhältnis zu Russland. Seit der Georgische Traum des Oligarchen Bidsina Iwanischwili regiert, steht dieser im politischen Lager von Ex-Präsident Micheil Saakaschwili im Verdacht, einen zu sanften Kurs gegenüber Moskau zu verfolgen. Vertreter von Saakaschwilis Vereinigter Nationalbewegung und Europäisches Georgien (eine Abspaltung Ersterer) präsentieren sich als Garanten eines starken, souveränen Georgien.

Tatsächlich haben Vertreter des Georgischen Traums zwar pro-georgische Positionen beschworen, aber durch widersprüchliche Äußerungen auch Skepsis geweckt. Staatspräsidentin Salome Surabischwili (sie wurde von Iwanischwili unterstützt) hatte in ihrem Wahlkampf im Vorjahr Saakaschwili für den Augustkrieg verantwortlich gemacht – und damit für viele ein Tabu gebrochen. Andere stimmt misstrauisch, dass Iwanischwili einen Großteil seines Vermögens in Russland gemacht hat.

Verhärtete Fronten, befestigte Grenzen

Saakaschwilis historische Rolle ist tatsächlich umstritten: Als Folge des Augustkrieges 2008, der in seine Amtszeit fiel, erkannte Moskau die abtrünnigen Gebiete Südossetien und Abchasien als unabhängig an und baut seither seine Militärpräsenz aus. Der Kreml nutzte die Schwächen von Saakaschwilis konfrontativer Politik. Ein Grund für den fulminanten Wahlsieg des Georgischen Traums 2012 war seine Ankündigung, das angespannte Verhältnis zum großen Nachbarn zu normalisieren. Die Grenze wurde wieder geöffnet, der Warenaustausch hat zugenommen, russische Touristen sind in Georgien gern gesehen.

Die diplomatischen Beziehungen aber wurden nicht wiederhergestellt, und durch die provokante Politik Moskaus in den abtrünnigen Gebieten ist eine Lösung des Territorialkonflikts weit entfernt. Moskau zeigt Härte und hat Tiflis verloren: Georgien ist heute mit der EU assoziiert, seine Bürger genießen Visafreiheit. Umgekehrt zahlt Georgien durch Flüchtlingszustrom und Besatzung einen sehr hohen Preis für seinen klar prowestlichen Kurs.

Der Georgische Traum hat in den bilateralen Beziehungen zum großen Nachbarn keinen Durchbruch erreicht. Hinzu kommt Enttäuschung über die sozialen und wirtschaftlichen Probleme, die nach sieben Jahren Traum-Regierung nicht verschwunden sind. Es geht im georgischen Zerwürfnis auch darum, wie man Russland begegnen soll: mit Härte oder mit Gesprächsbereitschaft?

Opposition als „fünfte Kolonne"

Wenn die Einladung des russischen Politikers in Tiflis allerdings als Gesprächsangebot gemeint war, dann war es ausgesprochen naiv. Sergej Gawrilow ist Abgeordneter der Kommunistischen Partei Russlands und hat 2008 für die Anerkennung der abtrünnigen Gebiete Abchasien und Südossetien durch Russland gestimmt. Dass er am Donnerstag als Vertreter der Interparlamentarischen Versammlung der Orthodoxie (IAO) sprach, half da nichts: Der Zwist mit dem Kreml überschattet das geteilte Erbe der Orthodoxie.

Staatspräsidentin Salome Surabischwili nannte Russland einen „Feind und Besatzer“. Sie warf der Opposition vor, als „fünfte Kolonne“ einen Keil zwischen die Georgier zu treiben. Aussagen, die die Gemüter auf der Straße kaum beruhigen dürften.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Proteste in Georgien
Home

Tausende demonstrierten in Georgien erneut gegen Regierung und Putin

Den vierten Tag in Folge gingen tausende Menschen auf die Straße. „Wir kämpfen gegen den Putinismus“, so der bekannte Autor Lascha Bugadse.
Morgenglosse

Manche sind souveräner als andere

Moskau reagiert im Konflikt mit Georgien nach Kolonialherrenart – und tut sich damit selbst nichts Gutes.
Außenpolitik

Georgien beruhigt russische Touristen nach Protesten

Kreml unterbindet gesamten Flugverkehr zwischen Russland und Tiflis.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.