Montenegro: Schatten auf den schwarzen Bergen

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Brandanschläge auf Autos der Zeitung „Vijesti“: Der Geschäftsführer klagt über Einschüchterungsversuche. In puncto Pressefreiheit rangiert das Land ex aequo mit Nigeria.

Podgorica. Er wurde beschimpft, krankenhausreif geprügelt – und mit dem Tode bedroht. Aber dennoch hat der hochgewachsene Zeitungsmacher seine Motivation für seinen Job noch nicht verloren. Jemand müsse schließlich etwas tun, „damit sich die Lage in Montegro endlich ändert“, sagt Željko Ivanović achselzuckend. Dass die Lieferwägen der „Vijesti“ seit Wochen zum Ziel einer Kette von Brandstiftungen geworden sind, hält der Geschäftsführer der größten unabhängigen Zeitung des Adria-Staats keineswegs für Zufall: „Wir schreiben, was den Mächtigen missfällt: über Korruption, organisiertes Verbrechen, die Verschandelung der Küste – und dubiose Immobilienprojekte.“

Täter scheuen das Tageslicht

Kurz vor vier Uhr morgens alarmierte die Feuerwehr von Podgorica Ende August die Polizei in der Hauptstadt über einen erneuten Autobrand. Von „isolierten“ Vorfällen spricht Montenegros Polizeichef Veselin Veljović. Doch Einzelfälle sind die Attacken keineswegs: Bei drei Brandstiftungen wurden seit Mitte Juli schon vier Fahrzeuge der Zeitung zerstört.

Nicht nur weil Montenegros früherer Präsident und Premier Milo Djukanović zuletzt mehrmals über die „Verleumdungen“ von „Vijesti“ geklagt hatte, wittert Ivanovic die Brandstifter im Dunstkreis des mächtigsten Mannes im Adria-Staat. Mit einer Auflage von 20.000 Exemplaren erreiche das seit 1997 erscheinende Blatt über 100.000 der 620.000 Einwohner, so der 49-jährige Verleger, der die „Vijesti“ als „die größte und einflussreichste Zeitung Montenegros“ bezeichnet: „Wir stören. In einem Land ohne starke parlamentarische Opposition ist die unabhängige Presse für Djukanović eines der größten Probleme.“

Ob als Premier, Präsident, Parteichef oder Geschäftsmann: Schon seit zwei Jahrzehnten hat der erst 49-jährige Polit-Veteran die Zügel in Montenegro fest in der Hand. Seine Kritiker werfen dem geschäftstüchtigen Chef der regierenden DPS die enge Verquickung von Staats- und Privatinteressen vor: Die Brandstifter müssten zwar nicht im direkten Kontakt zu dem Ex-Premier stehen, aber seien seine Parteigänger, vermutet Ivanović: „Mit den Anschlägen senden sie die Botschaft, dass sie stärker sind als der Staat – und dass unsere Berichte über organisierte Kriminalität sinnlos sind.“ Djukanović weist alle Anschuldigungen zurück: „80 Prozent der Berichte über mich sind Unwahrheiten.“ Er sei „kein Masochist“ und lese „Vijesti“ schon lange nicht mehr, beteuert Djukanović.

Djukanovićs „Privatstaat“

Als Ivanović mit Gleichgesinnten 1997 die „Vijesti“ aus der Taufe hob, einte die Zeitung mit Djukanović zumindest noch das Ziel der Unabhängigkeit. Andere Ziele habe Djukanović verfolgt: „Er wollte einen Privatstaat schaffen, in dem er nach Belieben schalten und walten kann.“ Seit der Unabhängigkeit 2006 sieht sich die Zeitung, an der seit 2009 die österreichische Styria Media AG zu 25 Prozent beteiligt ist (ihr gehören 100 Prozent der „Presse“), dem verstärkten Druck der Obrigkeit ausgesetzt. Von einem Anzeigenboykott und der Verweigerung einer TV-Sendelizenz ist die Rede, der Verleger spricht von einem Ausfall an Reklame-Einkünften von mehreren Millionen Euro.

Dazu kommen vermehrte physische Übergriffe: Schon 2004 war Duško Jovanović, Geschäftsführer der Zeitung „Dan“, in Podgorica erschossen worden. Ausgerechnet nach der Feier zum 10-jährigen Jubiläum der „Vijesti“ wurde auch Željko Ivanović im September 2007 zum Opfer eines gewalttätigen Überfalls. Maskierte Männer schlugen ihn mit Baseballschlägern krankenhausreif. Danach sah sich der Familienvater einer Verleumdungsklage ausgesetzt: Weil er Djukanović direkt oder indirekt für die nie aufgeklärte Prügelorgie verantwortlich gemacht hatte, verklagte dieser ihn auf ein Schmerzensgeld von einer Million Euro. Ein Gericht verdonnerte ihn schließlich zur Zahlung von 20 000 Euro. „Reine Farce“, so Ivanović.

Rang 104 bei Pressefreiheit

Zwei Jahre später sahen sich zwei „Vijesti“-Journalisten den tätlichen Angriffen des Bürgermeisters von Podgorica und dessen Sohnes ausgesetzt. Angeklagt wurden wieder die Opfer, mit der Post kamen Morddrohungen.

Ende 2010 trat Djukanović zwar das Premier-Amt an Finanzminister Igor Lukšić ab. Trotz dessen Bekenntnissen zur Pressefreiheit hat sich laut Ivanovic „nichts Grundlegendes“ geändert: „Djukanović kontrolliert über seine Gefolgsleute in der Regierung und Partei weiter das Land.“ Neu-Premier Lukšić habe die Brandanschläge zwar verurteilt, doch lasse er den „schönen Worten“ keinerlei Taten folgen: „Warum tauscht er nicht den Polizeichef aus?“

Auf dem Pressefreiheit-Index von „Reporter ohne Grenzen“ rangiert der EU-Anwärter auf Rang 104 – gemeinsam mit Angola und Nigeria. Montenegro sei ein sehr kleines Land – und mit unbegrenzten Finanzmitteln, einer mächtigen Parteimaschinerie und dem Geheimdienst „sehr leicht zu kontrollieren“, seufzt der Verleger. Entmutigen lassen will er sich jedoch nicht: „Ohne unsere Arbeit wäre die Lage hier noch viel schlechter.“

Auf einen Blick

Željko Ivanović, Geschäftsführer der montenegrinischen Zeitung „Vijesti“, erhebt schwere Vorwürfe: Weil die Zeitung sich mit den Mächtigen des Landes anlegt, gingen Lieferwagen des Verlags in Flammen auf; er persönlich wurde Opfer eines Baseballschläger-Attentats – die Polizei spricht freilich von „vereinzelten Vorfällen“. [Vijesti]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.09.2011)

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