Neue EU-Sanktionen: Syrien verfolgt gezielt Ärzte

Neue EUSanktionen Regime verfolgt
Neue EUSanktionen Regime verfolgt(c) AP (Osama Faisal)
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Die Europäer verschärfen die Sanktionen gegen das Regime des syrischen Diktators Assad. Ein EU-Diplomat bestätigte, dass beim nächsten Treffen der Außenminister ein entsprechender Beschluss fallen werde.

Brüssel. Die Europäer verschärfen die Sanktionen gegen das Regime des syrischen Diktators Bashar al-Assad. Am Mittwoch bestätigte ein hoher EU-Diplomat, dass spätestens beim nächsten Treffen der Außenminister in Brüssel am 27. Februar ein entsprechender Beschluss fallen werde.

Die EU plane, die syrische Nationalbank auf die gleiche Weise vom internationalen Finanzsystem abzuschneiden, wie sie das erst unlängst mit der iranischen Zentralbank getan hat. Weiters plane man das Verbot der Ein- und Ausfuhr von syrischen Bodenschätzen, allen voran Phosphaten und Edelmetallen wie Gold. Europa nehme Syrien derzeit rund 40 Prozent von dessen gesamten Phosphatausfuhren ab, führte der Diplomat aus. Ein Boykott dieser Industrie könnte dem Regime somit jene Deviseneinnahmen entziehen, die es zur Bezahlung bewaffneter Freischärler und regulärer Truppen benötigt. „Angesichts der schwer zu ertragenden Bilder von der Gewalt aus Homs bereitet es uns keine Schwierigkeiten, die Mitgliedstaaten in diesen Fragen zu vereinen“, fügte der Diplomat hinzu.

Babys in Brutkästen gestorben

In besagter Stadt Homs kam es am Mittwoch erneut zu schweren Angriffen von Assads Gefolgsleuten auf Zivilisten. Internationale Nachrichtenagenturen berichteten unter Berufung auf örtliche Quellen, dass es Dutzende Tote gegeben habe. Milizionäre hätten 19 Mitglieder dreier Familien in deren Häusern mit Messern getötet. Zudem seien in zwei Krankenhäusern insgesamt 18 frühgeborene Babys gestorben, weil der Strom für ihre Brutkästen abgeschaltet wurde. All diese Informationen sind schwer zu prüfen, weil das syrische Regime ausländische Journalisten von der umkämpften Stadt fernhält. Der BBC-Reporter Paul Wood befand sich am Mittwoch mit einer Gruppe von Rebellen in den Außenbezirken von Homs. Er sagte, dass die meisten Bewohner der Stadt sich angesichts des seit fünf Tagen währenden Beschusses in ihren Häusern verstecken. „Wir haben hunderte Hülsen von Panzer- und schwerer Artilleriemunition gezählt“, schrieb Wood auf der BBC-Homepage. „Es gibt viel Scharfschützenfeuer. Sie scheinen absichtlich Zivilisten als Ziel zu nehmen. Wir haben eine alte Dame und einen alten Mann gesehen, die von Scharfschützen niedergeschossen wurden, als sie die Straße überquerten.“

Ärzte ohne Grenzen klagt an

Immer mehr verdichtet sich der Eindruck, dass Assad seine Armee gezielt gegen seine eigenen Bürger einsetzt, um den Aufstand gegen seine Regime zu ersticken. Die internationale Hilfsorganisationen Ärzte ohne Grenzen wirft Assad nun unter Berufung auf Augenzeugenberichte eine besonders perfide Form von Kriegsverbrechen vor. „In Syrien werden verwundete Patienten und Ärzte gezielt verfolgt. Sie sind in Gefahr, durch Sicherheitskräfte verhaftet und gefoltert zu werden“, erklärte Marie-Pierre Allié, die Chefin der Organisation, am Mittwoch in Paris.

Ärzte ohne Grenzen ist wie die meisten internationalen Hilfsorganisationen aus Syrien ausgeschlossen, behandelt aber Flüchtlinge außerhalb des Landes und steht mit Ärzten in Syrien in Kontakt. Die meisten Verwundeten suchen aus Furcht vor Verhaftung und Folter keine öffentlichen Krankenhäuser auf. Falls doch, stellen Ärzte mitunter bewusst falsche Diagnosen, damit die Patienten den Sicherheitskräften entkommen, die gezielt nach für Demonstranten typischen Verletzungen suchen. „Wir werden ständig von den Sicherheitskräften verfolgt“, sagte ein Arzt. Zudem steht die einzige syrische Blutbank unter der Kontrolle des Verteidigungsministeriums. Auch Narkosemittel sind in den improvisierten Operationssälen in Bauernhöfen und Wohnungen selten verfügbar.

„Noch ist Syrien nicht Libyen“

Trotz der Verschärfung der Lage stärkt Russland dem Regime in Damaskus den Rücken – allerdings mit zusehends zweideutigen Aussagen. „Das Volk muss selbst über sein Schicksal entscheiden“, sagte Russlands Regierungschef und vermutlich nächster Präsident, Wladimir Putin, laut Bericht der Nachrichtenagentur Interfax. „Natürlich lehnen wir jede Gewalt ab, von welcher Seite auch immer, aber niemand sollte sich wie ein Elefant im Porzellanladen benehmen.“ Russland blockiert weiterhin jegliche Resolution im UN-Sicherheitsrat, die Assads Vorgehen verurteilt – sogar einen extrem verdünnten Text, der keine wie auch immer geartete Deutung zulässt, wonach die UNO den Regimewechsel in Damaskus anstrebe.

Russland und China, aber auch anderen Schwellenländern wie Brasilien, Südafrika und Indien stößt der von der UNO indirekt sanktionierte Sturz von Libyens Diktator Muammar al-Gaddafi noch immer übel auf. Darum sind die Europäer peinlichst darum bemüht, alle politischen und diplomatischen Möglichkeiten bis zum Allerletzten auszuschöpfen und Gerüchte wie jenes über eine von der Nato geplante Flugverbotszone im Keim zu ersticken. „Derzeit versuchen wir jeden Verweis auf die von Ihnen genannte internationale Organisation zu vermeiden“, sagte der EU-Diplomat. „Noch ist Syrien nicht Libyen.“

Auf einen Blick

Die EU verschärft ihre Sanktionen gegen Syriens Regime. Spätestens beim nächsten Außenministerrat am 27. Februar werde die Notenbank isoliert sowie der Handel mit syrischen Phosphaten und Edelmetallen wie Gold verboten, sagte ein hoher EU-Beamter am Mittwoch.

Die Kämpfe in der Stadt Homsverschärfen sich unterdessen. Laut Augenzeugen massakrieren die Milizen von Präsident Assad ganze Familien mit Messern. Russlands Ministerpräsident Putin verbat sich am Mittwoch erneut jegliche militärische Einmischung von außen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.02.2012)

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