Gerald Häfner: "Unernste Form der direkten Demokratie"

Gerald Haefner Unernste Form
Gerald Haefner Unernste Form(c) Stephan Röhl
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Gerald Häfner, Demokratie-Aktivist und grüner Europaabgeordneter, fordert mehr Mitbestimmung der Bürger in der Europäischen Union. Die Volksbefragung zum Wehrdienst in Österreich ist für ihn kein positives Beispiel.

Die Presse: Im Europaparlament gab es zuletzt Versuche der direkten Einflussnahmen von Lobbyisten in der Frage der neuen Datenschutzverordnung. Funktioniert die parlamentarische Demokratie auf EU-Ebene sauber genug, um solche Interventionen abwehren zu können?

Gerald Häfner: Die Demokratie ist etwas Lebendiges, das nicht stehen bleiben kann. Sie muss sich immer weiterentwickeln. Natürlich ist die Demokratie ständig bedroht, indem jene, die mehr Geld und Macht haben, ihren Einfluss geltend machen wollen. Ein großes Unbehagen ist in Europa dadurch entstanden, dass die Bevölkerung den Eindruck hat, dass einige wenige Gruppen deutlich mehr Zugang zum politischen Entscheidungsprozess haben als die normalen Menschen. Das untergräbt das Vertrauen in die Demokratie.

Ist der Wunsch nach mehr direkter Demokratie aus diesem Misstrauen heraus entstanden? Sollen die Lücken in der parlamentarischen Demokratie kompensiert werden?

Ja, es gibt ein prinzipielles Missbehagen. Es ist ein Gefühl entstanden, die Wirtschaft zieht hier die Politik am Nasenring durch die Manege. In einer immer komplexeren Welt können wichtige Zukunftsentscheidungen zudem nicht mehr nach parteipolitischen Lagern sortiert werden. Da ist es nicht ausreichend, alle vier oder fünf Jahre seine Stimme abzugeben. Sondern es wäre ein erheblicher Fortschritt, wenn es auch zwischen den Wahlen zu öffentlichen Diskussionen käme, die dann zu Sachentscheidungen durch die Bürger führen – in Form von Volksabstimmungen. Wir haben gerade in Italien einen Fall, in dem Elemente von Show und haltlosen Versprechen der Kandidaten die politischen Sachfragen völlig überlagern. Wir müssen Sachfragen wieder in den Mittelpunkt stellen. Und das ist die unschlagbare Stärke der direkten Demokratie. Sie kann die parlamentarische Demokratie zwar nie ersetzen, aber sinnvoll ergänzen.

Bei jüngsten Erfahrungen mit der direkten Demokratie in Österreich – der Volksbefragung zur Wehrpflicht – standen aber statt Sachfragen erneut parteipolitische Machtspiele im Mittelpunkt. Ist es nicht eher so, dass sich die Parteipolitik der direkten Demokratie bemächtigt, als dass diese einen Ausgleich liefern könnte?

Das liegt aber auch an der österreichischen Form direkter Demokratie, die ich als sehr unernst und unerwachsen bezeichnen würde. Es liegt auch an der gewählten Form, eine Volksbefragung statt einer Volksabstimmung durchzuführen.

Aber stehen bei der direkten demokratischen Entscheidung tatsächlich Sachthemen im Mittelpunkt, sind es nicht eher oft Stimmungen – etwa wenn Großbritanniens Bevölkerung über seinen Verbleib in der EU entscheiden wird?

Es geht auch um Stimmungen. Aber das ist kein Spezifikum der direkten Demokratie. Schauen Sie sich einmal Wahlkämpfe an. In Großbritannien wird seit Jahrzehnten eine Stimmung gegen Europa geschürt. Wenn es eine Volksabstimmung gibt, muss endlich auch argumentiert werden, da reichen Stimmungen nicht mehr aus. Natürlich müssen rechtliche Vorkehrungen getroffen werden, dass Pro und Kontra in der öffentlichen Debatte ausreichend Platz finden.

Kann über alles abgestimmt werden? Ist es richtig, etwa das Volk über den Zugang von Asylwerbern abstimmen zu lassen oder über das Strafmaß bei bestimmten Delikten?

Ich glaube schon, dass alles, was der Gesetzgeber regeln kann, auch durch Volksabstimmungen entschieden werden kann. Aber Volksabstimmungen müssen sich im Rahmen der geltenden Verfassungsordnung bewegen. Sie dürfen sich also nicht gegen internationale Übereinkommen – etwa Menschenrechte oder Grundfreiheiten – richten.

Die EU-Kommission argumentiert ähnlich. Sie begründet ihr Nein zu einer Bürgerinitiative gegen die Atomkraft damit, dass es hierfür einen übergeordneten Vertrag – den Euratom-Vertrag – gibt.

Die Europäische Bürgerinitiative ist kein Volksabstimmungsverfahren. Es geht um Anregungen an die Politik. Und da bin ich anderer Auffassung als die EU-Kommission, die das sehr restriktiv sieht. Die Voraussetzung, dass es sich lediglich um Themen handeln darf, für die die EU-Kommission selbst zuständig ist, verunmöglicht eine gedankliche Weiterentwicklung der Europäischen Union. Und das betrifft zum Beispiel einen völligen Ausstieg aus der Atomkraft. Die Europäische Bürgerinitiative ist sowieso ein schwaches Instrument.

Reicht das Modell der EU-Bürgerinitiative also nicht aus?

Nein, es reicht nicht aus. Das war der erste Schritt zu mehr Bürgerbeteiligung. Europa wird entweder ein Europa der Bürger oder es wird scheitern. Ein Europa der Regierungen, der Finanzkonzerne, in dem sich die Bevölkerung nur noch als Zuschauer empfindet, wird keine Zukunft haben. Bürger sollten nicht nur Vorschläge machen, sondern letztlich große, wichtige Richtungsentscheidungen selbst treffen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.04.2013)

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