Offener Machtkampf im EU-Parlament

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Die Wahl des Parlamentspräsidenten wird lange, schwierig und unplanbar. Es gibt zwar eine Favoritenrolle, doch diese ist nicht wirklich abgesichert.

Straßburg. Auf dem Papier ist der Sachverhalt klar: Mit 213 zu 189 Mandaten im 751-köpfigen Plenum des Europaparlaments genießt die Europäische Volkspartei (EVP) am Dienstag bei der Wahl des EU-Parlamentspräsidenten einen Vorteil gegenüber ihrer sozialdemokratischen Rivalin (S&D). Als EVP-Kandidat geht der Italiener Antonio Tajani zwar als Favorit ins Rennen. Seine Poleposition ist allerdings nicht eindeutig genug, um von einem Kantersieg ausgehen zu können. Denn sein S&D-Widersacher, der ebenfalls aus Italien stammende Fraktionsvorsitzende Gianni Pittella, ist aus mindestens vier Gründen ein ernst zu nehmender Gegner:

Zum einen bringt das Wahlprozedere, das sich voraussichtlich über den ganzen Dienstag ziehen wird, Unsicherheitsfaktoren ins Spiel. In den ersten drei Wahlgängen benötigen die Kandidaten (neben Tajani und Pittella gehen fünf weitere Europaabgeordnete an den Start) noch die absolute Mehrheit. Erst im vierten Durchgang genügt eine relative Stimmenmehrheit. Im Tagesverlauf gibt es also genug Zeit, um neue Allianzen zu schmieden – nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass geheim abgestimmt wird.

Zweitens: Setzt sich Tajani durch, würde die EVP alle Spitzenposten in EU-Kommission, Rat und Parlament besetzen – was nicht nur den Sozialdemokraten, sondern auch anderen Fraktionen ein Dorn im Auge sein dürfte. Zumal Pittella – und das ist das dritte Fragezeichen – im Vorfeld des Votums angekündigt hat, die informelle Große Koalition mit der EVP zu verlassen. Diese Ansage könnte Abgeordnete kleinerer Fraktionen umstimmen.

Und zu guter Letzt ist Antonio Tajani ein Kandidat mit Makeln. Sein größtes Minus ist die jahrelange Nähe zum ehemaligen italienischen Regierungschef Silvio Berlusconi – wobei dieser Malus in den Augen rechtspopulistischer Europaabgeordneter durchaus ein Bonus sein könnte. (la)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.01.2017)

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