Europafeinde haben wenig gemein

Die Mitglieder der rechtspopulistischen EU-Parlamentsfraktion ENF sehnen einen „patriotischen Frühling der Völker“ herbei. [
Die Mitglieder der rechtspopulistischen EU-Parlamentsfraktion ENF sehnen einen „patriotischen Frühling der Völker“ herbei. [(c) APA/AFP/ROBERTO PFEIL
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Marine Le Pen, Frauke Petry und Co. zelebrieren zwar ihre Gemeinsamkeiten – doch hinter der Fassade der patriotischen Einheit gibt es handfeste inhaltliche Differenzen.

Brüssel. Getrennt marschieren, vereint schlagen – dieses Motto des preußischen Feldmarschalls Helmuth Graf von Moltke gilt auch für Europas rechtspopulistische Parteien. Zwar sind Front National, Alternative für Deutschland (AfD), FPÖ und die niederländische Partei für die Freiheit (PVV) in erster Linie am innenpolitischen Wandel interessiert, nichtsdestoweniger geben sich die Gegner des Establishments die Mühe, auf europapolitischer Bühne den Anschein einer geschlossenen Front zu vermitteln. Die jüngste Gelegenheit dazu gab es am vergangenen Wochenende in Koblenz, wo die Rechts-außen-Fraktion im Europaparlament, Europa der Nationen und der Freiheit (ENF), zu einem Kongress geladen hatte. Organisatorin der Veranstaltung war die AfD, der Anlass das europäische Wahljahr 2017: Im März werden die Niederländer zu den Wahlurnen gerufen, im April wählen die Franzosen ein neues Staatsoberhaupt, und im September ist der deutsche Bundestag an der Reihe.

Die Forderung der Kongressveranstalter lautet „Freiheit für Europa“, und was die rund tausend Kongressteilnehmer herbeizusehnen scheinen, ist ein „patriotischer Frühling der Völker“, wie es Matteo Salvini, der Chef der (nord-)italienischen Lega Nord formulierte, während FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky ein „Europa der Bürger“ forderte.
Diese Fassade der national-patriotischen Einheit hat allerdings Risse, die sich nur notdürftig kaschieren lassen – und zwar sowohl innerhalb der rechtspopulistischen Parteienfamilie ENF als auch generell zwischen den populistischen Parteien in der EU. Solang es ein Establishment gibt, gegen das man wettern kann, hält die Front. Blendet man den gemeinsamen Feind für einen Augenblick aus, werden sofort mindestens drei Bruchstellen sichtbar.

Der erste Graben verläuft zwischen Deutschland und Frankreich – konkret zwischen Gastgeberin AfD und dem Front National von Marine Le Pen. Nach außen hin scheint es, als ob beide Parteien für die Abschaffung des Euro eintreten würden. Für die AfD war die Einheitswährung aber stets eine Chiffre für die finanzielle Unterstützung des überschuldeten Südeuropa. Le Pen hingegen will nicht nur den Euro abschaffen, sondern auch einen protektionistischen Schutzwall um Frankreich errichten und den gemeinsamen Binnenmarkt de facto abschaffen, um französische Unternehmen und Arbeitnehmer vor ausländischer – sprich deutscher – Konkurrenz zu schützen.

Ja zum Binnenmarkt?

Diese Position passt schlecht zur folgenden Aussage des AfD-Europaabgeordneten Marcus Pretzell: „Wir sagen Ja zum Binnenmarkt.“ Selbst AfD-Parteichefin Frauke Petry, die in Koblenz ihre innige Freundschaft mit Marine Le Pen zelebrierte, bezeichnete das Parteiprogramm des Front National noch vor einiger Zeit als „zu sozialistisch“ für ihren Geschmack.

Bruchstelle Nummer zwei ist das Ost-West-Verhältnis. Die ENF-Fraktion hat Mitglieder aus neun EU-Mitgliedstaaten – darunter auch aus Polen und Rumänien. Das erklärte Ziel der westeuropäischen Fraktionsmitglieder sind die Abschaffung der Personenfreizügigkeit und das Ende der Transferzahlungen an die ärmeren EU-Mitglieder. Beides würde die Wähler der osteuropäischen Populisten direkt treffen, was längerfristig nur drei Möglichkeiten offenlässt. Erstens: Le Pen entsorgt ihre Wahlversprechen in der Rundablage. Zweitens: Die Osteuropäer akzeptieren, dass sie nicht mehr im Westen arbeiten dürfen und finanziell auf sich selbst gestellt sind. Oder drittens: Sie treten in dem Moment, in dem die Differenzen nicht mehr überbrückbar sind, aus der gemeinsamen Parlamentsfraktion aus. Bei der dritten Variante hätte die ENF nur noch Mitglieder aus sieben EU-Staaten und ein mittelfristiges Problem: Sieben Mitgliedstaaten sind das absolute Minimum für den Fraktionsstatus – und die Britin Janice Atkinson, eine „Leihgabe“ von der United Kingdom Independence Party, wird mit dem EU-Austritt Großbritanniens voraussichtlich noch vor der nächsten Europawahl wegfallen.

Die dritte und letzte Differenz tangiert die ENF nur peripher: Es ist das Spannungsverhältnis zwischen Südeuropäern, die dem engherzigen Sparmeister Deutschland die Schuld für ihre schlechte Lage geben, und den Nordeuropäern, die keine Lust auf eine Transferunion haben. Zwar ist die Lega Nord eine italienische Partei, doch im Gegensatz zur linkspopulistischen Fünf-Sterne-Bewegung sieht sie sich als nordeuropäischer Außenposten im Süden – und würde sich am liebsten vom restlichen Italien lossagen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.01.2017)

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