Gratis-Interrail ist unbezahlbar

Ein Zug wird kommen – aber nur für einige wenige 18-Jährige. Statt einer großen Aktion soll es nun ein kleines Pilotprojekt geben.
Ein Zug wird kommen – aber nur für einige wenige 18-Jährige. Statt einer großen Aktion soll es nun ein kleines Pilotprojekt geben.(c) REUTERS (Marcelo del Pozo / Reuters)
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Das Europaparlament will allen 18-Jährigen ein Bahnticket schenken. Laut EU-Kommission würde dies zwei Mrd. Euro kosten – pro Jahr.

Brüssel. Neben der Reisefreiheit innerhalb der Schengenzone und dem Studentenaustauschprogramm Erasmus zählt Interrail zu den sichtbaren Errungenschaften der europäischen Integration. Das internationale Pauschalticket für junge (und jung gebliebene) Rucksacktouristen erfreut sich seit vier Jahrzehnten großer Beliebtheit – insofern war es nicht verwunderlich, dass das Europaparlament bei seiner Suche nach Erfolgsstories rasch auf Interrail kam.

Wenige Monate nach dem Schock des britischen Votums für den EU-Austritt und angesichts des Vormarschs populistischer Parteien auf dem Kontinent lancierten Europaabgeordnete die Idee eines Gratis-Interrailtickets für alle 18-Jährigen. Ein solches Programm „könnte der Schlüssel sein für die Schaffung einer positiven Wahrnehmung der EU unter jüngeren Generationen“, sagte Manfred Weber (CSU), der Fraktionsvorsitzende der Europäischen Volkspartei im Europaparlament, im Oktober 2016. Die EU-Kommission war von Anfang an zurückhaltender: Die Idee sei grundsätzlich gut, man müsse aber ihre Finanzierbarkeit überprüfen, sagte damals die für Verkehrspolitik zuständige Kommissarin, Violeta Bulc.

Eine Erklärung für die damalige Zurückhaltung der Verkehrskommissarin lieferte am Dienstag die „Financial Times“, die von internen Kostenberechnungen der Brüsseler Behörde berichtete: Demnach würde die Aktion pro Jahr zwei Milliarden Euro kosten – und sei daher kaum finanzierbar. Die Kommissionsexperten argumentieren weiters, dass die Vergabe von Gratistickets Jugendliche aus gut situierten Familien begünstige, weil sie sich, anders als 18-Jährige aus bescheideneren Verhältnissen, auch Hotelzimmer in attraktiven EU-Hauptstädten leisten und somit mehr von dem Geschenk der EU profitieren könnten. Zudem würde das Projekt junge Inselbewohner benachteiligen, weil sie die Überfahrt aufs europäische Festland aus eigener Tasche finanzieren müssten.

Als Kompromiss will die Kommission gemäß „Financial Times“ ein mit 2,5 Millionen Euro dotiertes Pilotprojekt starten, in Rahmen dessen sich ausgewählte Schulen um EU-Zuschüsse zum Reisebudget bewerben können – damit könnten beispielsweise Bildungsreisen nach Brüssel finanziert werden. Details will die Brüsseler Behörde im März präsentieren.

EVP-Fraktionschef Weber, der im vergangenen Herbst die Idee lanciert hatte, will nicht aufgeben. „Wir kommen gut voran“, dazu gehöre auch das von der Kommission vorgeschlagene Pilotprojekt, sagte Weber am Dienstag zur „Presse“ – und er kündigte für das kommende Frühjahr „weitere Schritte“ im Europaparlament an. In der EVP-Fraktion geht man hinter vorgehaltener Hand davon aus, dass der negative Bericht von britischen EU-Gegnern gepusht wurde.

Weniger Geld für Erasmus?

Doch selbst die Finanzierung des bescheideneren Pilotprojekts könnte noch für Kontroversen sorgen – es gibt nämlich Überlegungen, für die Interrail-Aktion kein frisches Geld in die Hand zu nehmen, sondern für Erasmus vorgesehene Mittel umzuwidmen – infrage käme ein 50 Mio. Euro schwerer Zuschuss zu Erasmus, der für 2017 budgetiert wurde. Das Problem: Erst im Jänner feierte die Kommission das Studentenaustauschprogramm als großen Erfolg. 2015 wurde Erasmus von 678.000 Studierenden in Anspruch genommen. Zum Vergleich: Pro Jahr werden rund 300.000 Interrailtickets verkauft.

In Österreich zählt Verkehrsminister Jörg Leichtfried (SPÖ) zu den Fans des Gratistickets. Gegenüber der „Presse“ zeigte er sich gestern verwundert: Er hoffe, dass es sich nur um eine „Ente“ handelt. Von der Grundidee, das „Wir-Gefühl“ junger Europäer zu stärken, sei in dem kolportierten Vorschlag jedenfalls „nichts mehr übrig“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.02.2017)

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