Die Keimzelle einer EU-Armee

Paris unterstützt ebenso wie Berlin Pläne für den Aufbau einer Verteidigungsgemeinschaft.
Paris unterstützt ebenso wie Berlin Pläne für den Aufbau einer Verteidigungsgemeinschaft. (c) APA/AFP/THOMAS SAMSON
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In Brüssel wird ein EU-Militärzentrum eingerichtet, das später einmal gemeinsame Operationen koordinieren soll. Außenminister Kurz will schon mehr und fordert eine schnelle Eingreiftruppe, die auch Außengrenzen schützt.

Brüssel. In die EU-Sicherheits- und Verteidigungspolitik kommt neue Dynamik. Wenngleich die Schritte klein sind, bewegt sich die EU doch in Richtung einer engeren militärischen Zusammenarbeit. Am Montag haben sich die EU-Außen- und Verteidigungsminister für die Gründung eines neuen Militärzentrums in Brüssel ausgesprochen. Gleichzeitig forderte Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) den Aufbau einer „schnellen EU-Krisenreaktionstruppe“, die in Drittstaaten, aber auch beim Schutz der Außengrenze zum Einsatz kommen soll. EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini kündigte bis zum EU-Gipfel im Juni weitere Vorschläge zur Stärkung der EU-Verteidigungspolitik an.

„Die Presse“ gibt einen Überblick, wie weit die Pläne gediehen sind.

1 Ist das EU-Militärzentrum die von mehreren Regierungen geforderte Kommandozentrale?

Nein, das nun beschlossene Military Planning and Conduct Centre (MPCC) ist nur eine kleine Stabstelle. Sie wird sich vorerst mit der Planung und Führung von militärischen Ausbildungs- und Beratungsmissionen der EU beschäftigen. Derzeit gibt es solche Missionen in Somalia, Mali und in der Zentralafrikanischen Republik. Militärische EU-Einsätze wie etwa „Atlanta“ zur Sicherung der Schifffahrt vor Überfällen von Piraten vor dem Horn von Afrika werden weiterhin dezentral von den führenden Nationen – in diesem Fall aus Northwood bei London – geleitet. Auch wenn Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) darauf besteht, nicht von einem Hauptquartier zu sprechen, soll das Zentrum doch nach und nach aufgewertet werden. Laut Insidern ist längerfristig geplant, von Brüssel aus exekutive Militäroperationen zu planen und zu führen. „Wie immer Sie es nennen wollen, es ist ein Schritt Richtung EU-Hauptquartier“, so ein französischer Diplomat.

2 Hat die EU mit Battlegroups nicht schon eine schnelle Eingreiftruppe, wie sie Kurz fordert?

Im Prinzip ja. Bei den Battlegroups handelt es sich um einen Zusammenschluss der europäischen Armeen, sie sollte für die „Petersburg-Aufgaben“ eingesetzt werden. Dabei handelt es sich um friedenserhaltende und friedenschaffende Missionen, humanitäre Einsätze, Rettungseinsätze, aber auch um Kampfeinsätze bei Friedensmissionen. Die Battlegroups werden immer für ein halbes Jahr unter Beteiligung mehrerer Armeen zusammengesetzt und stehen in diesem Zeitraum jederzeit bereit. An der derzeitigen Battlegroup unter Führung Italiens ist auch Österreich mit 55 Soldaten beteiligt. Wenn sich die Mitgliedstaaten für einen Einsatz entschließen, wäre die Truppe innerhalb von fünf Tagen abmarschbereit. Allerdings: Die Battlegroups waren bisher noch nie im Einsatz. Mehrfach wurde dies wie beispielsweise 2013 in Mali als Unterstützung der französischen Mission diskutiert. Er scheiterte aber meist am mangelnden Interesse der EU-Regierungen. Auch die Finanzierung blieb umstritten. Denn derzeit gibt es unter den EU-Partnern wenig Willen, die an der jeweiligen Battlegroup beteiligten Länder im Fall von Einsätzen durch Mittel aus dem Gemeinschaftsbudget zu unterstützten.

3 Welche Pläne gibt es für den Aufbau einer EU-Armee, und können diese realisiert werden?

Der Plan für den Aufbau einer gemeinsamen europäischen Armee ist älter als die heutige EU und bereits mehrfach gescheitert. Zuletzt griff EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker den Gedanken wieder auf. Nur einen Tag nach dem Wahlsieg von Donald Trump in den USA forderte er eine gemeinsame europäische Verteidigung „bis hin zum Ziel der Errichtung einer europäischen Armee“. Wenn Verteidigungsminister Doskozil von einer „Scheindebatte“ spricht, ist das zumindest derzeit richtig. Der Aufbau einer EU-Armee wird zwar auch von den Visegrád-Ländern gefordert, ist aber von einer Realisierung noch weit entfernt. Es fehlt vor allem an politischem Willen, die Verteidigung stärker zu vergemeinschaften. Dazu kommt, dass viele Mitgliedstaaten eine Doppelgleisigkeit mit der Nato befürchten. Großbritannien hat angekündigt, bis zu seinem Ausscheiden aus der EU alle Pläne für eine EU-Armee zu torpedieren.

4 Könnte Österreich überhaupt an einer EU-Armee teilnehmen?

Aufgrund der Neutralität sind die Auffassungen geteilt. Die SPÖ ist strikt gegen eine Beteiligung, wie dies Verteidigungsminister Doskozil nun aktuell bekräftigte. Auch die Grünen sehen die Neutralität als Hindernis. Die ÖVP will eine gemeinsame europäische Verteidigungspolitik mit einer EU-Armee – und das bei Beibehaltung der Neutralität. Auch FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache hat erst vergangene Woche für eine EU-Armee plädiert, die sich von der Nato löst. Auch er will dies unter Beibehaltung der Neutralität. Sympathien für eine Beteiligung an einer EU-Armee gibt es bei den Neos.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.03.2017)

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