Der Bundeskanzler will Gelder für EU-Partner kürzen, die zu wenige Flüchtlinge aufnehmen oder Steuerdumping betreiben.
Wien. Nach seinem Vorgänger Werner Faymann hat nun auch der amtierende Bundeskanzler Christian Kern EU-Partnern mit der Kürzung von Geldern aus dem Gemeinschaftshaushalt gedroht. „Sollten sich Mitgliedsländer bei der Lösung der Migrationsfrage weiterhin konsequent wegducken oder Steuerdumping auf Kosten der Nachbarn betreiben, so dürfen sie künftig nicht mehr Nettozahlungen in Milliardenhöhe aus Brüssel erhalten.“ Diese Forderung stellte Kern in einem Interview mit der „Welt“ auf.
Obwohl er gleichzeitig betonte, dass er nicht drohen wolle, wird die Äußerung doch als Sanktionsforderung gegen jene osteuropäischen Länder verstanden, die bisher keine oder kaum Flüchtlinge aufgenommen haben. Sie richtet sich auch gegen Irland oder Luxemburg, die internationalen Konzernen zweifelhafte Steuerdeals angeboten hatten.
Die Drohung hat kaum Chance umgesetzt zu werden, weil nicht einmal eine Mehrheit der EU-Regierung die Macht hätte, den Gemeinschaftshaushalt zu ändern. Der EU-Budgetrahmen wird jeweils für sieben Jahre festgelegt. Die derzeitige Haushaltsperiode läuft noch bis 2020. Jahr für Jahr wird zwar ein Budget beschlossen, doch auch diesem müssen alle Mitgliedstaaten zustimmen. Eine Kürzung als Sanktion gegen ein Fehlverhalten ist somit praktisch ausgeschlossen. Denn in diesem Fall müsste das betroffene Land selbst der Reduzierung zustimmen.
Derzeit erhalten die meisten mittel- und osteuropäischen Länder mehr Geld aus dem EU-Haushalt als sie einzahlen. Da sich ihr Wohlstand langsam verbessert und die Kluft zu reicheren EU-Ländern kleiner wird, werden sich ihre Fördermittel im nächsten Haushaltsrahmen automatisch reduzieren.
Auch die EU-Kommission hat keine Möglichkeit, Zahlungen strafweise zu kürzen. Sie kann lediglich ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten, wenn sich einzelne Länder nicht an gemeinsamen Beschlüssen wie der Aufteilung von Flüchtlingen aus Italien und Griechenland beteiligen. Der für Migration zuständige EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos hat dies bereits angekündigt. Seine Klage könnte letztlich zu Strafzahlungen für jene Länder führen, die zuwenig Flüchtlinge aufgenommen haben. (wb)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.03.2017)