Nachspiel zu Polens EU-Eklat

Jarosław Kaczyński
Jarosław KaczyńskiREUTERS
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Selbst rechte Kommentatoren in Warschau forderten einen Strategiewechsel in der polnischen EU-Politik.

Warschau. „Es dürfte schwierig sein, sich noch mehr zu diskreditieren – aber man kann es zumindest versuchen!“ Dieser Facebook-Eintrag eines Polen war am Freitag ein Hit im Internet. Auch Polens gebeutelte Opposition hat selten so köstlich über den Parteichef der regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), Jarosław Kaczyński, und seine Strategen bei dem am Freitag zu Ende gegangenen EU-Gipfel gelacht. Mahnende Stimmen indes warnen auch im Lager der von Donald Tusk einst mitgegründeten liberalen Bürgerplattform (PO) vor einer zunehmend schwierigen Verhandlungsposition des Landes in der EU. „Wer wird uns noch ernst nehmen?“, lautet die sorgenvolle Frage nach der gescheiterten Blockade des EU-Gipfels wegen der Wiederwahl von Tusk als Ratspräsident.

Die Spitzenpolitiker der PiS versuchen die Brüsseler Wahlniederlage als Angriff aus Berlin darzustellen. So jedenfalls wird in Warschau die Tatsache präsentiert, dass Jacek Saryusz-Wolski als offizieller Kandidat Polens nur eine einzige Stimme bekommen hatte. „Die EU ist so weitgehend von Deutschland dominiert, dass der Druck auf bestimmte Politiker übermächtig ist“, erklärte PiS-Parteichef Kaczyński bereits am späten Donnerstagabend. Selbst die schallende Ohrfeige des erklärten engsten Verbündeten Ungarn vermochte Kaczyński mühelos in Watte zu betten. „Wir sind enttäuscht über Orbáns Entscheidung (für Tusk), aber wir wissen über den ungeheuren Druck auf ihn.“ Die einzige Stimme für Saryusz-Wolski sei ein gutes Zeichen, münzte Kaczyński die Peinlichkeit zum Sieg um. Polen habe gezeigt, dass es keine „darniederliegende Pappel“ sei, auf die sich jeder stürzen könne.

Hatten in der Nacht zum Freitag noch manche durchaus regierungsnahe Kommentatoren personelle Konsequenzen vor allem im Außenministerium gefordert, so schien der Posten von Witold Waszczykowski am Freitagabend wieder etwas gefestigter. Kaczyński selbst hatte Spekulationen vom Tisch gewiesen, dass Saryusz-Wolski neuer Außenminister werden könnte. „Wir nehmen PiS-Mitglieder in Betracht, bisher ging kein Parteiaufnahmebegehren ein“, schnitt Kaczyński bei einem Pressetermin eine entsprechende Frage scharf ab.

Es sei nun Zeit für eine Strategiediskussion, findet indes das regierungsnahe Portal wpolityce.pl. Alle wichtigen Entscheidungen beim Gipfel seien ohne Polen gefallen und Waszczykowskis Plan B, die Verweigerung der Unterschrift unter das Gipfelprotokoll, sei rechtlich nicht effektiv gewesen, wird kritisiert. Premierministerin Beata Szydłos Auftritt in Brüssel habe den Eindruck erweckt, als sei er in aller Eile vorbereitet gewesen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.03.2017)

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