SPD wählt Schulz mit 100 Prozent zum Parteichef

Der langjährige deutsche Europaparlamentarier Martin Schulz wurde zum Nachfolger von Parteichef Sigmar Gabriel gewählt.
Der langjährige deutsche Europaparlamentarier Martin Schulz wurde zum Nachfolger von Parteichef Sigmar Gabriel gewählt.APA/AFP (TOBIAS SCHWARZ)
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Martin Schulz ist neuer Parteichef der deutschen SPD. Ein Bundesparteitag wählte den 61-Jährigen in Berlin mit 100 Prozent Ja-Stimmen zum Nachfolger von Sigmar Gabriel.

Der frühere EU-Parlamentspräsident Martin Schulz ist mit einem Traumergebnis zum neuen Vorsitzenden der Sozialdemokraten in Deutschland gewählt worden: Die Delegierten auf dem SPD-Sonderparteitag in Berlin kürten Schulz am Sonntag einstimmig zum Parteichef. Anschließend wurde Schulz per Akklamation auch offiziell zum deutschen Kanzlerkandidaten bestimmt. "Das ist ein überwältigender Moment für mich und für uns alle", sagte Schulz, auf den bei der Wahl zum Parteivorsitzenden alle 605 gültigen Stimmen entfielen. "Ich glaube, dass dieses Ergebnis der Auftakt zur Eroberung des Kanzleramtes ist, und deshalb nehme ich die Wahl an". Der SPD-Vorstand hatte den 61-Jährigen Ende Jänner nominiert, nachdem der bisherige Parteichef Sigmar Gabriel verzichtet hatte. Seit der Nominierung von Schulz haben sich die Umfragewerte der Partei deutlich verbessert. Die Sozialdemokraten liegen inzwischen wieder auf Augenhöhe mit der Union oberhalb von 30 Prozent. Der neue SPD-Chef setzt im Wahlkampf vor allem auf Gerechtigkeitsthemen, unter anderem strebt er Korrekturen an den arbeitsmarktpolitischen Reformen der Agenda 2010 an.

Seine politische Karriere hatte Schulz als Bürgermeister seiner Heimatstadt Würselen in Nordrhein-Westfalen begonnen. Ins Europaparlament wurde er erstmals 1994 gewählt, 2004 stieg er zum Vorsitzenden der sozialdemokratischen Fraktion auf. Im Jänner 2012 wurde er zum Präsidenten des Europaparlaments gewählt und zwei Jahre später bestätigt. Seine Amtszeit endete Mitte Jänner. Bereits im November hatte Schulz seinen Wechsel in die Bundespolitik angekündigt. Für die Bundestagswahl im September steht er auf Platz eins der Landesliste der nordrhein-westfälischen SPD.

Zielrichtung: Kanzleramt

Der neue SPD-Chef will nun mit den Leitmotiven Gerechtigkeit, Respekt und Würde das Kanzleramt erobern. In seiner kämpferischen Bewerbungsrede versprach Schulz am Sonntag vor rund 600 Parteitagsdelegierten und mehr als 2000 Gästen in Berlin mehr Lohngerechtigkeit, gebührenfreie Bildung von der Kita bis zum Studium, aber auch ein hartes Vorgehen gegen Alltagskriminalität. Er bitte um Vertrauen: "Nicht nur heute, sondern ab heute, solange ich dieses Amt ausübe", sagte Schulz. Er bekräftigte den Anspruch der SPD, als stärkste Kraft aus der Wahl am 24. September hervorzugehen, äußerte sich aber nicht zu Koalitionsoptionen. Die politischen Gegner rief er zu einer fairen Auseinandersetzung auf: "Mit mir wird es keine Herabwürdigung des politischen Wettbewerbs geben. Wenn andere einen anderen Weg wählen, wird es am Ende die Entscheidung der Wählerinnen und Wähler sein, darüber ein Urteil zu fällen."

Keine Details zum Wahlprogramm

Schulz wurde für seine rund 75-minütige Rede mit starkem Applaus gefeiert. Der langjährige Europaparlamentarier wurde auf dem Parteitag zum Nachfolger von Parteichef Sigmar Gabriel gewählt. Gabriel, der siebeneinhalb Jahre Vorsitzender war, wurde gleich mehrfach gewürdigt - und war sichtlich gerührt. Das Wahlprogramm will die SPD erst im Juni beschließen. Details verriet Schulz noch nicht. Er verzichtete darauf, neue inhaltliche Akzente zu setzen. Die von ihm angekündigten Korrekturen an der Agenda 2010 des früheren SPD-Kanzlers Gerhard Schröder verteidigte der 61-Jährige aber. Es gehe ihm dabei nicht um "Vergangenheitsbewältigung", sondern um Weiterqualifizierung als Antwort auf den dramatischen Fachkräftemangel. Schröder blieb dem Parteitag wegen einer Auslandsreise fern. Vor den von der Union in Aussicht gestellten Steuersenkungen warnte Schulz. Sie würden den Staat 35 Milliarden Euro kosten. "Das ist das Wahlgeschenk-Programm der CDU/CSU und das sind Milliarden, die für wichtige Zukunftsinvestitionen fehlen würden." Die Pläne der Union seien ein "alter Wahlkampfschlager", ungerecht und unvernünftig. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erwähnte Schulz in seiner Rede nicht ein einziges Mal.

Schändliche Hetze

Schulz wandte sich aber mit scharfen Worten gegen Rechtspopulisten. Die AfD bezeichnete er als "Schande für die Bundesrepublik". Auch US-Präsident Donald Trump warf er vor, das "Rad der Freiheit" zurückzudrehen. "Wer die freie Berichterstattung als Lügenpresse bezeichnet, wer selektiv mit den Medien umgeht, legt die Axt an die Wurzeln der Demokratie - ob er Präsident der Vereinigten Staaten ist oder ob er in einer Pegida-Demonstration mitläuft." Schulz bekannte sich klar zu Europa: "Mit mir wird es kein Europa-Bashing, kein Schlechtreden Europas geben." Den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan warnte er davor, mit Nazi-Vergleichen Menschen in Deutschland gegeneinander aufzuhetzen. Gabriel hatte Ende Jänner zugunsten von Schulz auf Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur verzichtet und wechselte vom Wirtschafts- ins Außenministerium. Die Nominierung von Schulz hatte der SPD ein beispielloses Hoch in den Umfragen beschert. Jetzt liefert sie sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der Union.

Sigmar Gabriel nimmt Abschied

Gabriel verabschiedete sich von den Delegierten mit Wehmut, aber auch mit Zuversicht. "Es dürfte der fröhlichste und optimistische Übergang zu einem neuen Parteivorsitz sein, den unsere Partei so in den letzten Jahrzehnten erlebt hat", sagte der 57-Jährige. Er sprach sich klar gegen eine Fortsetzung der Großen Koalition nach der Bundestagswahl aus. "Jetzt wollen die Menschen einen neuen Aufbruch." Nur mit einem Wechsel zu Schulz an der Parteispitze sei dieser Aufbruch glaubwürdig zu vollziehen. "Ich glaube, dass ich mit dieser Entscheidung und diesem Vorschlag der SPD am besten diene", sagte Gabriel. "Alle Vorsitzenden der SPD haben zuallererst für die Partei und nicht zuallererst für sich gearbeitet." Schulz sagte, Gabriel werde im Wahlkampf eine wichtige Rolle für die Partei spielen. Dass der Vizekanzler seinen Ehrgeiz zurückgestellt und ihm Parteivorsitz und Kanzlerkandidat überlasse, "ist eine große menschliche Leistung". "Dich weiter an meiner Seite zu wissen, macht mich, macht uns, macht die SPD stark."

(APA/dpa)

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