Österreich zerrt Deutschland vor den EuGH

Pro Jahr sind geschätzte 1,8 Millionen österreichische Autofahrer auf deutschen Autobahnen unterwegs. Sie werden künftig eine Vignette benötigen.
Pro Jahr sind geschätzte 1,8 Millionen österreichische Autofahrer auf deutschen Autobahnen unterwegs. Sie werden künftig eine Vignette benötigen.(c) REUTERS (Reuters Photographer / Reuter)
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Sobald die EU-Kommission ihr Verfahren gegen Berlin einstellt, wird Wien beim Luxemburger Höchstgericht Klage einreichen. Grund: Deutsche Autofahrer bekommen die Mautgebühr über den Umweg einer Kfz-Steuersenkung rückerstattet.

Wien/Berlin. Nur zwei Stunden, nachdem der Gesetzesentwurf für die deutsche Pkw-Maut den Bundesrat in Berlin passiert hatte, geht Österreich auf Konfrontationskurs mit seinem großen Nachbarn: Verkehrsminister Jörg Leichtfried (SPÖ) kündigte Freitagmittag eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg gegen das umstrittene Vorhaben an. Die Maut sei eine „indirekte Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit“, der ein „fadenscheiniges Öko-Mäntelchen“ umgehängt wurde, sagte Leichtfried gestern. Bundeskanzler Christian Kern habe seine Kollegin Angela Merkel bereits über die österreichische EuGH-Klage informiert, die deutsche Kanzlerin habe den österreichischen Konfrontationskurs „zur Kenntnis genommen“.

Leichtfrieds Kritik, gestützt auf ein Gutachten des Europarechtlers Walter Obwexer, richtet sich gegen die Ungleichbehandlung von deutschen und nichtdeutschen Fahrern: Erstere müssen zwar auch eine Vignette kaufen, doch der Kaufpreis wird ihnen mittels Kfz-Steuersenkung rückerstattet – Besitzer besonders schadstoffarmer Autos der Klasse Euro 6 bekommen sogar mehr Geld zurück, als sie für die Vignette zahlen müssen.

Genau diese Besserstellung ist das von Leichtfried kritisierte „Öko-Mäntelchen“ – und die bevorzugte Behandlung umweltfreundlicher Autos ist auch der Grund dafür, dass die EU-Kommission das Mautgesetz als regelkonform betrachtet. Der ursprüngliche Entwurf hatte eine 1:1-Abgeltung für alle Fahrzeugklassen vorgesehen – was die Brüsseler Behörde dazu veranlasste, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einzuleiten. Erst nachdem Berlin die Öko-Klausel eingeführt und den Gesetzesentwurf entsprechend überarbeitet hatte, gab die Kommission grünes Licht – was für Leichtfried einen „Skandal“ darstellt: „Es entsteht der Eindruck, große Mitgliedsstaaten würden es sich auf Kosten der Kleinen richten.“

Der Verkehrsminister wird seine Regierungskollegen beim Ministerrat am kommenden Dienstag vom Stand der Dinge unterrichten. Beim Luxemburger Höchstgericht kann die Klage erst dann eingereicht werden, wenn die EU-Kommission das Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland formell ad acta legt – was laut Leichtfried „relativ zeitnah“ passieren dürfte.

CSU am Ziel

Während in Wien die Vorbereitungen für den Rechtsstreit angelaufen sind, stand in Berlin CSU-Verkehrsminister Alexander Dobrindt am Ziel: Vier lange Jahre hat der Bayer um das CSU-Lieblingsprojekt Pkw-Maut gerungen – auch gegen den Widerstand der großen Schwesterpartei. „Mit mir wird es keine Pkw-Maut geben“, hatte CDU-Parteichefin Merkel im Wahlkampf 2013 angekündigt. Es kam anders. Die CSU drängte ihr Wahlkampfversprechen in den Koalitionsvertrag. Auch der sozialdemokratische Koalitionspartner trug die Maut mit – aus Koalitionsräson und „trotz großer Bauchschmerzen“.

Bis zuletzt gab es Widerstand aus den Bundesländern. Sie fürchten massive Einbrüche für den Tourismus und für Unternehmen. Falls nur zehn Prozent wegen der e-Vignette nicht mehr die Grenze queren, bedeute das Einnahmenverluste im Einzelhandel von zehn Millionen Euro – und zwar allein in der Stadt Trier, erklärte gestern Volker Wissing, Verkehrsminister in Rheinland-Pfalz. In einem vergeblichen Appell warnte er vor inakzeptablen „Kollateralschäden“. Mehrere Bundesländer hatten zumindest auf mautfreie Korridore im Grenzraum gedrängt. Dobrindt lehnte ab. Er hatte schon ein Zugeständnis gemacht: Anders als Deutsche dürfen EU-Bürger die 40.000 Kilometer Bundesstraßen mautfrei nutzen, die Maut gilt nur für die 13.000 Kilometer Autobahn, wie Dobrindt gestern bekräftigte. Das müsse reichen.

Zweifel an den Einnahmen

Zugleich nährten mehrere Studien Zweifel an der Ankündigung Dobrindts, die Maut würde unter dem Strich ein Plus von 500 Millionen Euro bringen. Ein Gutachten des Verkehrswissenschaftlers Ralf Ratzenberger im Auftrag des ADAC etwa. Nachdem die Halter deutscher Fahrzeuge ihr Geld zurückbekommen, ist für sie die Reform grosso modo ein Nullsummenspiel. Abzüglich der Entlastung blieben laut Ratzenberger nur Mehreinnahmen von 139 Millionen Euro. Wenn der Mautbetrieb aber wie angekündigt 210 Millionen Euro kostet, wäre das ein Minusgeschäft. Das liegt auch daran, dass immer mehr schadstoffarme Pkw unterwegs sind. Das ist gut für die Umwelt, aber schlecht fürs Geschäft, zumal die Höhe der Maut nach Größe des Hubraums und der Umweltfreundlichkeit gestaffelt ist. Nach Ansicht der Kritiker der Studie hat Ratzenberger aber das Verkehrsaufkommen zu niedrig veranschlagt. Dobrindt bleibt bei seinen 500 Millionen.

Einen Teil davon würden Österreicher beisteuern. Der ÖAMTC verweist auf Nachfrage auf eine Studie, wonach allein 2014 rund 1,8 Millionen Österreicher zumindest einmal eine deutsche e-Vignette benötigt hätten. Sie kostet je nach Schadstoffklasse von unter 20 bis 130 Euro, für den kürzesten Tarif (zehn Tage) von 2,50 bis 25 Euro. Ab wann die Österreicher zahlen müssen, ist ungewiss. Angepeilt wird das Jahr 2019.

DEUTSCHE PKW-MAUT

Das Gesetz sieht die Einführung einer Infrastrukturabgabe für die Nutzung deutscher Autobahnen vor. Im Gegensatz zu Lenkern aus dem EU-Ausland wird die Mautgebühr den Haltern in Deutschland registrierter Fahrzeuge mittels gleichzeitiger Senkung der Kfz-Steuer rückerstattet – Besitzer besonders umweltfreundlicher Autos der Kategorie Euro 6 erhalten sogar mehr Geld zurück. Die Jahresvignette kostet je nach Schadstoffklasse von unter 20 bis 130 Euro, für den kürzesten Tarif (zehn Tage) von 2,50 bis 25 Euro. Starten wird die Pkw-Maut frühestens 2019.

Wien argumentiert, dass die Pkw-Maut zwar im Kern nicht diskriminierend ausgestaltet sei, in Verbindung mit der Kfz-Steuersenkung aber eine EU-widrige indirekte Benachteiligung aus Gründen der Staatsangehörigkeit darstelle.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.04.2017)

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