EU-Parlament steckt die roten Brexit-Linien ab

Zwei Brexit-Kontrahenten im EU-Parlament in Straßburg: Nigel Farage und Jean-Claude Juncker.
Zwei Brexit-Kontrahenten im EU-Parlament in Straßburg: Nigel Farage und Jean-Claude Juncker.APA/AFP/SEBASTIEN BOZON
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In einer hitzigen Debatte wurde Großbritannien großteils vor harten Verhandlungen gewarnt. Der britische Abgeordnete Farage bezeichnete die EU als Mafia.

Das EU-Parlament hat am Mittwoch seine roten Linien für die Brexit-Verhandlungen mit Großbritannien vorgelegt. In der teils hitzigen Debatte betonte der Vorsitzende der EVP Manfred Weber, London müsse sich auf eine "harte Verhandlungsposition" der EU vorbereiten. Das EU-Parlament muss nach zwei Jahren dem Verhandlungsergebnis zustimmen.

Weber erklärte, zuerst müsse es die Scheidung geben, dann erst könne es Gespräche über die künftigen Beziehungen geben. Das Klima sollte fair und konstruktiv sein. Allerdings gebe es derzeit zahlreiche Unsicherheiten. "Ich befürchte, London könnte denken, es wird eine perfekte Einigung geben, man nimmt die positiven Dinge und lässt die negativen weg. Aber es geht nicht ums Rosinen herauspicken".

Irische Interessen sind europäische Interessen

Besonders die jüngsten Auseinandersetzungen um Gibraltar empörten Weber. "Wo sind wir denn gelandet, sind wir eigentlich noch ganz bei Trost?", fragte der deutsche EU-Abgeordnete. "Wir müssen über Digitalisierung reden, aber es wird in eine vollkommen falsche Richtung diskutiert, leider von Nationalisten und Populisten aufgedrückt". Spanier und Iren könnten nicht allein ihre Interessen gegenüber London durchsetzen. Aber irische Interessen sind nicht nur irische, sondern europäische, und spanische auch", so Weber.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat Großbritannien vor einem harten Brexit gewarnt: "Kein Deal heißt, niemand gewinnt und alle verlieren". Die Brexit-Verhandlungen sollten "in aller Fairness, aber ohne nachsichtige Naivität" ablaufen. Denn "sanfte Neugeburten sehen verlockend aus. Aber ich möchte das auch Herrn Farage sagen: Nicht die EU verlässt Großbritannien, sondern die Briten verlassen die Europäische Union".

Der Hauptverhandler der EU-Kommission für die Verhandlungen, Michel Barnier, betonte, es gehe niemals darum, Großbritannien "abzustrafen. Sondern wir fordern die Briten auf, das zu bezahlen, was sie an Verpflichtungen eingegangen sind. Es geht einfach um einen Kontenabschluss, nicht mehr und nicht weniger".

Großbritannien könne auseinanderbrechen

Der Chef der Sozialdemokraten im EU-Parlament, Gianni Pittella, sagte ebenfalls zur Kriegsrhetorik der Briten bei Gibraltar, dabei seien "Worte von Dilettanten" gefallen. Er "hoffe, dass die britischen Bürger verstehen, in welchen Händen sie gelandet sind". Jene, die in Großbritannien für den Brexit waren, "haben nach der Abstimmung nicht einmal gewusst, welches Verfahren es gibt, wenn sie die Scheidung beantragen. Sie haben die territoriale Integrität Großbritanniens gefährdet. Das Vereinigte Königreich könnte auseinanderbrechen. Eure Lügen haben das Chaos in Großbritannien zur Folge gehabt. Wir werden nicht lügen", so Pittella.

Jedenfalls werde es die EU "nie akzeptieren, wenn wir vor den Pforten ein Maxi-Steuerparadies" haben können. "Nein, es wird keine Vorzugsbehandlung gegenüber der City of London geben".

Freunde, keine Feinde

Helga Stevens von den Konservativen versuchte die Stimmung zu beruhigen. Großbritannien und die EU seien Freunde und keine Feinde. Deshalb sollte es kein schlimmes Zerwürfnis geben, sondern den Beginn einer tiefen und besonderen Partnerschaft zwischen langen Verbündeten. Sie hoffe aber auch, dass die EU aus dem Brexit gestärkt hervorgehe. Die Abwanderung anderer Staaten der EU müsse verhindert werden.

Der Vorsitzende der Liberalen Guy Verhofstadt konzedierte, dass die Verbindung der EU mit Großbritannien niemals eine große Liebesaffäre und keine wilde Leidenschaft war, sondern eine Zweckehe. Dies sei schon kurze Zeit nach dem Briten-Beitritt 1973 zutage getreten. "Die Flitterwochen dauerten nicht lange an. Margret Thatcher verlangte ihr Geld zurück, ihr Nachfolger John Major nannte den Euro seltsam und impotent. Inzwischen hat das Pfund gegenüber dem Euro nachgegeben, sodass sich seine Vorhersage nicht ganz erfüllt hat". Der Brexit sei "in Wirklichkeit das Gezänke in der konservativen Partei, das zu einer großen Verschwendung von Energie wurde. Bedauerlicherweise".

Gabriele Zimmer von den Linken meinte, die Zeit der verantwortungslosen Demagogie sei vorbei. Jetzt müsse hart verhandelt werden. Sie wandte sich auch gegen neue Grenzziehungen. "Ich möchte keine Grenze auch in meinem Land, in Deutschland, mehr haben. Niemals mehr Grenzen und Mauern, die undurchlässig sind".

Der grüne EU-Abgeordnete Philippe Lamberts forderte die Briten auf, keine Drohungen auszusprechen. Auf der anderen Seite dürfe auch die EU nicht antworten, London zu bestrafen. Allerdings habe sich die britische Premierministerin Theresa May "selbst ein Loch gegraben, ein Loch voller Widersprüche".

Farage: "Eine Art Erpressung"

Der EU-Kritiker Nigel Farage von der EFDD (Europa der Freiheit und Direkten Demokratie) wütete neuerlich gegen die Union. Nicht Großbritannien müsse 52 Mrd. Pfund Sterling (60 Mrd. Euro) bezahlen, weil das "eine Art Erpressung" sei. In Wahrheit "hat Großbritannien netto mehr als 200 Mrd. Sterling über die Jahre reingebuttert in die EU. Wir haben hier noch Anteile an dieser Firma. Sie sollten uns noch etwas mitgeben", forderte Farage umgekehrt eine Zahlung der EU an Großbritannien beim Austritt.

Farage wandte sich auch entschieden dagegen, dass die Briten nicht Handelsvereinbarungen mit anderen Ländern verhandeln dürften. "Das hat keinerlei Grundlage im Vertragsrecht. Das wäre so, als würde man sagen, man kann, wenn man aus dem Gefängnis draußen ist, nicht sicher sein, wieder eine Wohnung zu finden". Der britische Abgeordnete wütete auch gegen EU-Ratspräsident Donald Tusk, der "noch in einer Ecke heult. Dem ging es ja ziemlich schlecht nach der Übergabe des Memorandums durch den britischen Botschafter". Wenn Tusk noch dazu sage, dass bei der Gibraltar-Frage Spanien ein volles Vetorecht habe, "hat das nichts zu tun mit der Souveränität von Gibraltar. Wir glauben an die Selbstbestimmung. Ihr Ehrgeiz, Nationalstaaten kaputt zu machen, da ist Gibraltar ein Testfall. Sie wollen Rache üben und verhalten sich wie die Mafia. Aber wir sind doch keine Geisel. Wir dürfen gehen", so Farage. Für seine Aussage, wonach die Europäische Union wie eine Mafia agiere, erhielt er einen Ordnungsruf.

(APA)

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