Ungarn: EU-Kommission spielt auf Zeit

Gegen die Vertreibung der Central European University (CEU) aus Ungarn wird seit Wochen demonstriert. Kritik am neuen Hochschulgesetz kommt auch aus den USA.
Gegen die Vertreibung der Central European University (CEU) aus Ungarn wird seit Wochen demonstriert. Kritik am neuen Hochschulgesetz kommt auch aus den USA.(c) APA/AFP/ATTILA KISBENEDEK (ATTILA KISBENEDEK)
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Die Brüsseler Behörde will bis Monatsende entscheiden, wie sie auf Viktor Orbáns antieuropäische Stimmungsmache reagieren soll. In der Zwischenzeit setzt man auf Dialog.

Brüssel/Wien. Im seit Jahren schwelenden Konflikt um antieuropäische Tendenzen in der ungarischen Regierung setzt die EU-Kommission – zumindest vorerst – auf Deeskalation. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte die Causa Ungarn auf die Agenda der wöchentlichen Sitzung der EU-Kommissare am Mittwoch gesetzt. Fazit der Beratungen: abwarten und das Gespräch suchen.

Die Brüsseler Behörde werde sich bis Ende April Zeit lassen mit der Entscheidung, ob bzw. in welcher Form sie gegen diverse illiberale Initiativen von Premierminister Viktor Orbán vorgehen werde, erklärte Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans gestern im Anschluss an die Sitzung. Parallel dazu werde man mit den ungarischen Behörden, dem Europaparlament und den restlichen Mitgliedstaaten der Union in einen „politischen Dialog“ treten.

Aus der Sicht der Kommission gibt es derzeit mindestens vier Steine des Anstoßes. Erstens ein geplantes Gesetz, das die Registrierung ausländischer Nichtregierungsorganisationen vorsieht – begründet wird die Novelle von Regierungsvertretern mit Bedarf nach Finanzierungstransparenz, während Kritiker darin den Versuch orten, NGOs als Handlanger fremder Mächte zu diffamieren.

Kritikpunkt Nummer zwei ist die von Orbán initiierte, seit Monatsbeginn laufende Volksbefragung „Stoppt Brüssel!“ – die darin gestellten Fragen legen den ungarischen Wählern nahe, dass die EU in Ungarn die Steuern erhöhen und „illegale Migranten“ ins Land bringen will. Die Brüsseler Behörde werde eigene Antworten auf die Suggestivfragen geben, hieß es gestern.

George Soros im Visier

Der dritte und momentan aufsehenerregendste Konfliktherd ist das neue Hochschulgesetz, das darauf abzielt, ausländische Universitäten außer Landes zu treiben. Im legislativen Visier befindet sich dabei die Central European University (CEU), eine vom US-Milliardär (und Orbán-Kritiker) George Soros gegründete Bildungseinrichtung, die Kommissionsvize Timmermans gestern als „Perle in der Krone Mitteleuropas“ bezeichnete. Das neue Gesetz sieht vor, dass ausländische Unis künftig auch einen Campus in ihrer Heimat unterhalten müssen, um in Ungarn aktiv sein zu dürfen – was die CEU in den USA nicht tut. Selbst in den Vereinigten Staaten wurde das kontroverse Gesetz zuletzt kritisiert (siehe unten). Und zu guter Letzt bereitet der EU-Kommission Ungarns Umgang mit Flüchtlingen Kopfzerbrechen.

Summa summarum ergeben diese einzelnen Maßnahmen für die Brüsseler Behörde ein bedenkliches Bild. Anders als in Polen, wo das Vorgehen der nationalpopulistischen Regierungspartei PiS gegen die Unabhängigkeit der Justiz eine systemische Bedrohung des Prinzips der Rechtsstaatlichkeit darstelle, gehe es in Ungarn um konkrete Gesetze, sagte Timmermans – aufgrund dieses Unterschieds sei es nicht angebracht, gegen Budapest ein Rechtsstaatlichkeitsverfahren gemäß Art. 7 des EU-Vertrags einzuleiten, wie es seit Anfang 2015 gegen Warschau läuft. Stattdessen werde man die ungarischen Gesetze im Rahmen der regulären EU-Vertragsverletzungsprozedur unter die Lupe nehmen – die Kommission gibt in regelmäßigen Abständen bekannt, welche nationalen Entwicklungen ihrer Ansicht nach EU-gesetzeswidrig sind und ein Verfahren notwendig machen.

In den Reihen der Europäischen Volkspartei (EVP) wird indes weiter über die Mitgliedschaft der ungarischen Regierungspartei Fidesz diskutiert. ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka sprach sich gestern gegen einen Ausschluss der Ungarn aus der EVP aus.

AUF EINEN BLICK

Das Hochschulgesetz wurde Montagabend von Staatschef János Áder in Kraft gesetzt. Es sieht vor, dass ausländische Unis, die in Ungarn tätig sind, in ihrer Heimat mindestens einen Campus unterhalten müssen. Laut Kritikern zielt das Gesetz darauf ab, die 1991 von US-Milliardär George Soros gegründete Central European University aus Ungarn zu vertreiben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.04.2017)

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