Abgeordnete einigen sich auf Transparenzpflicht – auch für Steueroasen.
Brüssel. Im Europaparlament fällt am Dienstag eine Entscheidung, die weitreichende Folgen für die politische Debatte um das Für und Wider der steuerlichen Bevorzugung international tätiger Konzerne haben wird. Mit dem Beschluss des Wirtschaftsausschusses des Parlaments rückt nämlich die Pflicht für große Unternehmen näher, ihre jährlichen Ertragssteuern zu veröffentlichen.
Jedes Unternehmen, das seinen Hauptsitz in einem Mitgliedstaat der Union hat und einen Nettojahresumsatz von mehr als 750 Millionen Euro erzielt, soll einen solchen jährlichen Bericht erstellen, der in einem von jedermann einsehbaren Internetregister von der Kommission vermerkt wird. Die von dieser Pflicht erfassten Unternehmen müssen, wenn sie in mehreren Staaten tätig sind, für jeden davon einen gesonderten Bericht über die dort geleisteten Ertragssteuern vorlegen. Das gilt auch für die Steueroasen, also jene Länder, die in Fragen der Steuertransparenz nicht ausreichend mit der Union zusammenarbeiten.
„Um die öffentliche Kontrolle und die globale Transparenz von Unternehmen zu stärken“, sollten „multinationale Unternehmen einschlägige Informationen für alle Länder weltweit, in denen sie tätig sind, offenlegen, damit Steuern dort bezahlt werden, wo die Gewinne tatsächlich erwirtschaftet werden“, schreiben die beiden für die Erarbeitung dieses Gesetzesvorschlages zuständigen Abgeordneten, Evelyn Regner von der SPÖ und ihr belgischer Fraktionskollege Hugues Bayet, in ihren erläuternden Bemerkungen.
Schatten über Juncker
Mit diesem Entwurf einer Novelle der Bilanzrichtlinie wird das Parlament im Herbst in die Verhandlungen mit den nationalen Regierungen treten. Sie sollen schnell zum Abschluss kommen; aus dem Parlament heißt es auf Anfrage der „Presse“, idealerweise sollte die neue Pflicht zur Steuertransparenz schon im nächsten Jahr gelten.
Das Parlament drängt schon seit 2011 auf diese Reform, doch erst die Enthüllungen über fragwürdige Steuerprivilegien für multinationale Riesen wie Starbucks oder Amazon und die grenzwertige Ausnutzung von Steueroasen in der Karibik und anderswo durch zahlreiche Firmen haben der Forderung nach Transparenz Rückenwind verliehen.
Was vor drei Jahren mit den „Luxleaks“ begann, also den Enthüllungen über vorteilhafte geheime Abkommen zwischen Konzernen und der luxemburgischen Regierung, setzte sich im vorigen Jahr mit den „Panama Papers“ über das dortige Geschäft mit Briefkastenfirmen fort und fand jüngst mit den „Malta Files“ über die Steuerumgehungsmöglichkeiten auf der kleinen Mittelmeerinsel neuerlichen Aufschlag. Das Thema der Steuertransparenz hat die Präsidentschaft von Jean-Claude Juncker an der Spitze der Kommission gleich von Beginn an stark beeinträchtigt. Juncker hatte als Luxemburgs Finanzminister und Ministerpräsident seit 1989 viele dieser Spezialabkommen mit Konzernen verhandelt. Einige Stunden nach dem Beschluss über die Pflicht zur Steuertransparenz wird Juncker am Dienstag im Untersuchungsausschuss des Parlaments zu seinem damaligen Tun befragt.
Die öffentliche Empörung über die steuerliche Privilegierung großer Unternehmen hat für breite ideologische Einigkeit in der Schaffung der Offenlegungspflicht gesorgt. Abgesehen von kleineren Streitpunkten – unter anderem der Frage, ob der Rest der Welt in den Jahresberichten nach Ländern aufgeschlüsselt oder in einem dargestellt werden soll – stellen sich auch die Christdemokraten hinter diesen Vorstoß, wenn auch mit Vorbehalt: „Die Berichtspflicht löst das Problem der Steuerschlupflöcher noch nicht. Aber durch die Offenlegungspflicht wird Druck erzeugt. Wenn sichtbar wird, dass manche Firmen vor allem im Land A arbeiten, aber Steuer vor allem im Land B zahlen, dann wird klar, wo man im Kampf gegen die Steuervermeidung ansetzen muss“, teilte Othmar Karas, Leiter der ÖVP-Delegation, am Montag mit.
Maues Problembewusstsein
Wie die Regierungen den Text aus dem Parlament zu ändern versuchen werden, ist offen. Einen Vorgeschmack darauf, wie gering das Problembewusstsein mancherorts sein dürfte, gab vorige Woche Maltas Finanzminister, Edward Scicluna, in Brüssel. Auf die Frage eines Journalisten, was er zum Bericht über 70.000 maltesische Briefkastenfirmen sage, reagierte er empört: Das sei ein Gerücht, um sein Land zu schädigen: Es gebe nämlich nur 50.000 solcher Firmen.
Auf einen Blick
Im Europaparlament fällt am Dienstag eine wichtige Entscheidung. Die Abgeordneten des Wirtschaftsausschusses beschließen eine Novelle, die Konzerne ab 750 Millionen Euro Jahresumsatz zur Veröffentlichung ihrer geleisteten Ertragssteuern verpflichten soll. Mit dieser Position geht das Parlament im Herbst in die Verhandlung mit den Mitgliedstaaten. Schon 2018 könnte diese Pflicht zu gelten beginnen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.05.2017)