Die Kommission stellt Verteidigungsfonds vor, ihre Zukunftsvisionen bleiben hingegen sehr vage.
Brüssel. Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil braucht sich nicht zu beunruhigen: eine „EU-Armee“, vor der er bei seinem jüngsten Ratstreffen in Brüssel warnte, plant niemand. In den am Mittwoch vorgestellten Überlegungen der Kommission zur Zukunft der Europäischen Verteidigung ist nur im dritten Szenario dessen, was nach dem Jahr 2025 denkbar erscheint, von einer „verstärkten Integration der Verteidigungskräfte der Mitgliedstaaten“, welche „vorausstationiert würden und permanent zum raschen Einsatz im Namen der Union zur Verfügung stünden.“
Diese Vision, auf nur etwas mehr als einer DIN-A4-Seite skizziert, setzt allerdings eine Bereitschaft der nationalen Regierungen in der Union voraus, ihre Verteidigungspolitik zumindest teilweise auf europäischer Ebene zu bündeln. Das würde, konsequent gedacht, die Frage aufwerfen, wer entscheidet, ob junge Männer und Frauen in Uniform unter dem blauen Banner mit den zwölf goldenen Sternen in den Krieg ziehen. Eine solche Bereitschaft zur Aufgabe eines der ureigensten Vorrechte des Nationalstaates hält man offenkundig nicht einmal in den Stäben von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Sicherheits- und Außenvertreterin Federica Mogherini für greifbar.
Und darum lässt die Lektüre dieses Reflexionspapieren der Kommission den Leser rätselnd zurück. Welche Kriege wird Europa führen müssen? Gegen welche Gegner? Die Bedrohung durch verdeckte und offene Sabotageakte des putinistischen Russland wird in dem Papier so bis zur Unkenntlichkeit verhüllt: „Östlich von uns sind Länder mit Bedrohungen und Problemen konfrontiert, die militärischer, wirtschaftlicher und politischer Natur sind oder die Energieversorgung betreffen.“ Welchen islamistischen Terror muss Europa bekämpfen, und wer sind seine staatlichen Förderer? Auch diese Frage vermeidet das Papier. „Im Mittelmeerraum und in Teilen Afrikas südlich der Sahara ist durch die Zunahme von Konflikten ein Vakuum entstanden, in dem Terrorismus und Kriminalität gedeihen“, erfährt man bloß.
EU-Mittel für Waffen
So unbefriedigend der Problemaufriss dieses Papiers auch ist, konnten Mogherini und der für Arbeitsplätze, Wachstum, Investitionen und Wettbewerbsfähigkeit zuständige Kommissionsvizechef Jyrki Katainen am Mittwoch zumindest einen konkreten Schritt hin zu einer Verbesserung der Verteidigungsfähigkeit Europas präsentieren. Ein Europäischer Verteidigungsfonds soll die grenzüberschreitende Forschung und Entwicklung neuer Waffen und Verteidigungssysteme antreiben. Die Beträge dafür sind vorerst überschaubar: 25 Millionen Euro heuer, in Summe 90 Millionen Euro bis zum Jahr 2019 für die militärische Forschung, wobei die Kommission Elektronik, neue Werkstoffe, Verschlüsselungssoftware und Robotertechnik als vorrangige Ziele nennt. Nach 2020 soll es hierfür jährlich eine halbe Milliarde Euro geben; es wird interessant sein zu beobachten, wie viel davon in den Verhandlungen über den nächsten Finanzrahmen der Union übrig bleibt, zumal nach dem Brexit Londons Nettozahlungen wegfallen werden.
Dieser Fonds soll zweitens die gemeinsame Beschaffung von Ausrüstung und Technologien fördern. Für 2019 und 2020 möchte die Kommission von den Mitgliedstaaten dafür gerne in Summe 500 Millionen Euro genehmigt sehen, in den Jahren danach jeweils eine Milliarde Euro. Davon erhofft sie sich die Hebelung privater Investitionen von jährlich vier Milliarden Euro.
Die Beantragung dieser Mittel ist mit enormem bürokratischen Aufwand verbunden: nur wenn mindestens drei Firmen aus mindestens zwei Mitgliedstaaten an einem Projekt mitmachen, gibt es Geld aus dem Fonds, und zudem müssen kleine und mittelgroße Betriebe ihren Anteil haben.
AUF EINEN BLICK
Vier Reflexionspapiere über existenzielle Fragen Europas hat die Kommission angekündigt. Drei, darunter das aktuelle über Verteidigung sowie jeweils eines über Globalisierung und die Währungsunion liegen schon vor. Jenes über die Zukunft des Unionshaushaltes folgt noch vor dem Sommer. Diese Papiere sollen die Debatte im Rat und im Europaparlament anstoßen, sie enthalten aber keine detaillierten Reformvorschläge.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.06.2017)