Europäischer Gipfel: Kühler Empfang für May in Brüssel

Der Blick auf London ist angesichts des Brexit strenger geworden.
Der Blick auf London ist angesichts des Brexit strenger geworden.(c) APA/AFP/TOLGA AKMEN
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Die EU-Spitzen werden sich nur kurz mit dem Vorbringen der Premierministerin befassen. Ihr Fokus gilt der Zeit nach dem Brexit – vor allem den Londoner EU-Agenturen.

Brüssel. Über Europas Hauptstadt hängt eine drückende Hitzeglocke wie zuletzt im Jahrhundertsommer 1976, der vereitelte Bombenanschlag auf den Zentralbahnhof vom Dienstagabend ruft die ungebrochene Bedrohung durch den radikalen Islamismus in Erinnerung – doch die Stimmung in den Nervenzentralen der europäischen Institutionen ist dieser Tage so zuversichtlich wie seit Jahren nicht mehr. „Man kann mit Recht sagen, dass wir uns in einem anderen politischen Kontext treffen werden als jenem von vor ein paar Monaten, als die Anti-EU-Kräfte im Aufschwung waren“, begann Donald Tusk, Präsident des Europäischen Rates und damit sozusagen Conférencier des Gipfeltreffens vom Donnerstag und Freitag, seinen Brief an die 28 Staats- und Regierungschefs. „Wir werden Zeugen davon, dass die EU wieder als Lösung, nicht als Problem gesehen wird. Paradoxerweise haben uns die schweren Herausforderungen der jüngsten Monate mehr geeint als zuvor.“

Tusks Zuversicht gründet in den guten konjunkturellen Zahlen, die neun Jahre nach Ausbruch der globalen Finanzkrise Wirtschaftswachstum in allen Mitgliedstaaten anzeigen. Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank, wird dazu am Freitag vortragen.

Geeinte Front in Sachen Brexit

Mit seinem Optimismus ist der frühere polnische Ministerpräsident aber vor allem deshalb nicht allein, weil die Unionsmitglieder sich angesichts der bisher schwersten existenziellen Herausforderung – des Austritts des Vereinten Königreichs aus der EU – nicht haben spalten lassen. In kaum einer politischen Frage ist die Front der 27 Mitglieder so geschlossen wie in der Frage des Brexit. Noch Anfang der Woche, rund um den Beginn der Brexit-Verhandlungen, hatte Mays Kabinett die Behauptung streuen lassen, sie wolle, wenn möglich, parallel mit den Regierungen Deutschlands und Frankreichs über die Bedingungen des EU-Austritts verhandeln. Dieser Versuch politischen Spins war von der Realität weit entfernt: für die EU verhandelt einzig Michel Barnier, der Sonderbeauftragte der Europäischen Kommission. Demarchen in Richtung Berlin oder Paris werden strikt abgelehnt.

Somit muss sich Theresa May auf einen frostigen Empfang in Brüssel gefasst machen. Sie wird nur bis zum Abendessen am Gipfeltreffen teilnehmen und auf eigenen Wunsch die Haltung ihrer wankenden Regierung vortragen. Seitens der Europäer erwartet man sich von diesem Referat wenig: „Premierministerin May hat darum gebeten, sich zu erklären. Insofern wird das eine unilaterale Erklärung. Da sind wir gespannt, was sie zu sagen hat. Wir haben aber keine besonderen Wünsche an sie“, erklärte ein europäischer Diplomat am Mittwoch. „Ich denke nicht, dass Präsident Tusk zu diesem Punkt zu einer Debatte aufrufen wird“, fügte ein anderer hinzu.

Gerangel um Agenturen

Nach ihrem Vortrag wird May das Gipfeltreffen verlassen, und die eigentliche Arbeit wird beginnen. Barnier wird die Spitzen der Unionsmitglieder über den Auftakt der Brexit-Verhandlungen unterrichten. Und dann sollen die Kriterien beschlossen werden, nach denen die beiden derzeit in London ansässigen EU-Agenturen umgesiedelt werden. Die Europäische Arzneimittelagentur EMA und die Europäische Bankenagentur EBA mit insgesamt rund 1000 Mitarbeitern müssen bis zum 29. März 2019 in zwei Unionsstaaten neue Heimstätten gefunden haben. Im Oktober wollen die Chefs beschließen, wer zum Zug kommt. „Es ist eine echte politische Aufgabensetzung, dass diese Frage nicht zu einer Ablenkung während der Brexit-Verhandlungen wird“, warnte ein EU-Diplomat. „Wir können es uns nicht leisten, diese Entscheidung nicht jetzt zu treffen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.06.2017)

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