Macron treibt den Neustart der EU voran

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Der neue Präsident Frankreichs fordert auf seinem ersten Brüsseler Gipfeltreffen eine stärkere Verteidigung von Europas Wirtschaft gegen unfairen Wettbewerb – und ein Ende der Naivität.

Brüssel. Knapp vor 18 Uhr war es, als Europas jugendlicher Hoffnungsträger aus Paris am Donnerstag erstmals sein Podium im Brüsseler Hauptgebäude des Rates betrat und für eine grundlegende Neuordnung der Wirtschaftspolitik gegenüber dem Rest der Welt plädierte: „Ich bin für den Freihandel, denn er sorgt für das Wachstum. Aber ich bin nicht für die Naivität. Europa ist der einzige Wirtschaftsraum ohne wirksame Mittel gegen das Dumping“, sagte Emmanuel Macron, der neue Staatspräsident Frankreichs, am Abend seines ersten Europäischen Ratstreffens. „Wie erklären Sie unseren Arbeitern, die von unfairen Handelspraktiken betroffen sind, dass wir nicht die Mittel haben, sie zu verteidigen?“

Macron hatte sich im Vorfeld des Gipfeltreffens für eine europäische Kontrolle des Verkaufs von strategisch wichtigen Wirtschaftsunternehmen an Investoren aus Übersee ins Zeug geworfen. Dieses Anliegen wird von den Regierungen Deutschlands und Italiens dem Grunde nach unterstützt. „Letztlich geht es, vereinfacht gesprochen, darum, dass die Chinesen nach und nach ihre nationale Industrie aufkaufen und sie eines Tages aufwachen und feststellen: Die können einfach das Land ausschalten“, sagte ein EU-Diplomat zur „Presse“.

Viele EU-Staaten haben nationale gesetzliche Vorschriften dafür, wie sensible Sektoren (von der Verkehrs- über die Energieinfrastruktur bis zu Wasserwerken, aber auch Hochtechnologiefirmen) vor ausländischen Übernahmen zu schützen sind. Die Frage ist nun, ob es solche Sektoren oder Unternehmen gibt, die nicht nur von einzelstaatlichem, sondern europäischem Sicherheitsinteresse sind. „Wenn zum Beispiel der Hafen von Rotterdam verkauft werden soll, betrifft das nicht nur die Niederlande, sondern ganz Europa“, sagte der EU-Diplomat.

Die Kommission befasst sich seit März mit dieser Frage. In ihrem Reflexionspapier zum Umgang mit der Globalisierung heißt es: „In jüngster Zeit wurden Bedenken in Bezug auf ausländische Investoren, insbesondere staatliche Unternehmen, geäußert, die aus strategischen Gründen europäische Unternehmen mit Schlüsseltechnologien übernommen haben. Investoren aus der EU wird in dem Land, aus dem die Investitionen stammen, oft nicht das Recht eingeräumt, ebenfalls Investitionen zu tätigen.“ Seither tagt eine Arbeitsgruppe unter Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans; bei seiner Rede zur Lage der Union am 13. September will Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker mögliche Maßnahmen vorlegen.

Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) unterstützt diesen Vorstoß, der in manchen nord- und osteuropäischen Ländern als Einfallstor für neuen Protektionismus wahrgenommen wird: „Es geht darum, dass wir uns in Europa dazu bekennen, unsere wirtschaftlichen Interessen zu schützen, und auch zu verstehen, dass der Wohlstand, der Aufschwung bei allen ankommen muss.“

Kurzer Auftritt von Theresa May

Und während die britische Premierministerin Theresa May nach einem kurzen Vortrag über ihre Vorhaben für den Brexit, also den Austritt Großbritanniens aus der Union, den Gipfel verließ, betonte Macron die Notwendigkeit tiefer Änderungen der Union im Allgemeinen und der Eurozone im Speziellen. Zu diesem Zweck werde seine Regierung mit jener Deutschlands in den nächsten Monaten einen gemeinsamen Plan vorgelegen. „Frankreich muss Vorbild sein – und es muss tun, was es sagt“, betonte der Präsident. Besonders in der gemeinsamen Verteidigungspolitik wolle er gemeinsam mit Kanzlerin Angela Merkel „noch weiter gehen“, als es auf dem Gipfeltreffen beschlossen wurde. Bei der jährlichen deutsch-französischen Regierungssitzung am 13. Juli sollen dazu Vorschläge präsentiert werden.

In besagter Verteidigungspolitik wollen die Unionsmitglieder nun erstmals im Rahmen einer sogenannten ständigen strukturierten Zusammenarbeit gemeinsame Rüstungs- und sonstige Verteidigungsprojekte vorantreiben. Im September wollen sie eine Liste konkreter Unterfangen vorlegen. Bundeskanzler Kern begrüßte dies, weil "Europa strategische Autonomie gewinnen muss". Angesichts des erratischen US-Präsidentschaft Donald Trumps sei es „absolut richtig, hier eigene Kapazitäten im Bereich der Verteidigungspolitik aufzubauen“. Österreich werde sich hier "aktiv im Rahmen der Neutralität engagieren". An einer echten gemeinsamen Verteidigungspolitik hingegen wolle er nicht teilnehmen.

Fixes Budget für Gefechtsgruppen

Zudem einigten sich die EU-Chefs darauf, die länderübergreifenden Gefechtsgruppen (Battle Groups) dadurch für schnelle Kriseneinsätze im Ausland bereit zu machen, dass sie ein dauerhaftes Budget bekommen. Als Basis soll der sogenannte Athena-Mechanismus dienen, ein im Jahr 2004 von den Mitgliedstaaten geschaffenes Verfahren, aus dem schon bisher die Eufor-Operation in Bosnien und Herzegowina, die Anti-Piraterie-Patrouillen am Horn von Afrika sowie die militärischen Ausbildungsmissionen in Mali und Somalia finanziert werden.

Auf einen Blick

Die Themenliste des Juni-Gipfels ist relativ lang: Es geht unter anderem um die Vertiefung der militärischen Zusammenarbeit auf Unionsebene sowie die Frage, wie mit dem Verkauf von strategisch wichtigen Unternehmen an Investoren aus Übersee künftig umzugehen sei. Tagespolitisch brisanter sind die Beratungen zum Brexit – die Staats- und Regierungschefs der EU-27 wollten über die Ausführungen von Theresa May zum Kurs Großbritanniens sprechen. Das Gipfeltreffen in Brüssel wird am heutigen Freitag ohne die Anwesenheit der britischen Premierministerin fortgesetzt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.06.2017)

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