Mittelmeerroute: EU-Vorgaben für NGO-Rettungsschiffe

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Die Mitgliedstaaten der Union wollen NGOs zu mehr Abstand von Schleppern und der libyschen Küste verpflichten – und den Weg nach Libyen für Migranten erschweren.

Tallinn/Rom. Der zunehmende Migrationsdruck auf Italien bringt die restlichen Mitgliedstaaten der EU in die Zwickmühle. Zum einen ist die Bereitschaft, den Italienern einen Teil der Neuankömmlinge abzunehmen, enden wollend – und auch das ist schon euphemistisch formuliert. Andererseits sind die italienischen Beteuerungen, das Ende der Fahnenstange sei demnächst erreicht, glaubwürdig genug, um einen gehörigen Handlungsdruck zu erzeugen.

Diese Dynamik konnte am gestrigen Donnerstag beim Treffen der EU-Innenminister im estnischen Tallinn beobachtet werden, wo die Ressortchefs den von der Regierung in Rom vorgeschlagenen, elf Punkte umfassenden Verhaltenskodex für Rettungsschiffe von Nichtregierungsorganisationen ihren Segen gegeben haben. Nachdem die Zahl der zwischen libyscher und italienischer Küste aufgegriffenen Migranten und Flüchtlinge zuletzt deutlich zugenommen hatte, drohte Rom damit, die italienischen Häfen für nicht staatliche Retter zu schließen – was wiederum den Druck auf andere EU-Mittelmeeranrainer wie Frankreich, Spanien oder Malta erhöht hätte. Wenig überraschend wurde der Wunsch nach einer Öffnung nicht italienischer Häfen in Tallinn nicht aufgegriffen – stattdessen will man (sofern die anderen EU-Institutionen mitziehen) die NGO-Schiffe unter anderem dazu verpflichten, libysche Gewässer und Kontakte zu Schleppern zu meiden, mit den italienischen Behörden zu kooperieren sowie keine geretteten Flüchtlinge an andere Boote zu übergeben (eine bis dato gängige Praxis). Aus der Sicht der Innenminister soll dadurch die „Sogwirkung“ Richtung Italien verringert werden. Vermutet wird, dass der Einsatz der NGOs die Schlepperbanden zum Einsatz von seeuntüchtigen Booten verleitet.

Kaum Chancen auf Asyl

Dass Italien auf Maßnahmen auf hoher See drängt, hängt auch damit zusammen, dass die Neuankömmlinge in den allermeisten Fällen keine Aussicht auf Asyl haben und in Ermangelung einer realistischen Rückführoption in Italien stranden. Für eine Umverteilung innerhalb der EU kommen nur jene Personen infrage, die aus Staaten stammen, wo die Asylanerkennungsquote bei mehr als 75 Prozent liegt – also de facto nur aus Syrien und Eritrea. Gemäß der EU-Asylagentur (EASO) stammen nun die meisten Neuankömmlinge in Italien aus Nigeria, Bangladesch und Pakistan. Seit Jahresbeginn sind nach UN-Angaben bereits knapp 90.000 Menschen in Italien angekommen – ein Fünftel mehr als im Vorjahreszeitraum.

Während die Helferorganisationen die Pläne kritisierten und die EU-Mitglieder zur Aufnahme der Neuankömmlinge aufforderten, debattierten EU-Vertreter über weitere Schritte. Die von Außenminister Sebastian Kurz favorisierte Lösung – die Schließung der Mittelmeerroute – provozierte heftigen Widerspruch seitens seines Luxemburger Kollegen, Jean Asselborn: Ihm „graut“ vor derartigen Aussagen. Und die Ankündigung, im Fall des Falles den Grenzübergang zu Italien am Brenner militärisch zu sichern, „zeugt nicht gerade von europäischer Solidarität“, so Asselborn weiter.

Die vom Luxemburger favorisierte Lösung – mehr Solidarität bei der Aufnahme von Flüchtlingen – ist angesichts des erbitterten Widerstands einiger (vor allem osteuropäischer) Mitgliedstaaten nicht mehr als ein frommer Wunsch. Und auch die von Gastgeber Estland favorisierte konsequente Abschiebung aller irregulären Migranten hat wenig Aussicht auf Erfolg, solange ihre Herkunftsländer die Rücknahme ihrer Bürger verweigern.

Genau dieses Problem will Italien forciert angehen. Zeitgleich mit den Innenministern in Tallinn tagten in Rom auf Einladung des italienischen Außenamtschefs, Angelino Alfano, Vertreter von europäischen und afrikanischen Staaten – mit dem Ziel, die Krise an der Wurzel zu bekämpfen. „Auch südlich von Libyen müssen wir uns engagieren, damit Migranten Libyen erst gar nicht erreichen“, sagte der Gastgeber im Anschluss an das Treffen. Bei diesem Engagement geht es vor allem um Geld. Laut Alfano plane Italien zusätzliche Finanzmittel für Afrika. Und auch auf EU-Ebene werden Finanzspritzen vorbereitet: In Planung ist unter anderem ein 44 Mrd. Euro schwerer Investitionsfonds für Afrika, dem die EU drei Mrd. Euro zur Verfügung stellen will – der Rest soll von privaten Investoren kommen.

AUF EINEN BLICK

Der Verhaltenskodex für nicht staatliche Rettungsschiffe umfasst elf Punkte und soll die NGOs unter anderem dazu verpflichten, libysche Küstengewässer und Kontakte zu Schleppern zu meiden, mit den italienischen Behörden zu kooperieren sowie keine geretteten Flüchtlinge an andere Boote zu übergeben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.07.2017)

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