Frontex: Präsenz der libyschen Küstenwache schreckt Schlepper ab

Auf der "Aquarius" werden vorerst keine weiteren Rettungseinsätze von "Ärzte ohne Grenzen" durchgeführt.
Auf der "Aquarius" werden vorerst keine weiteren Rettungseinsätze von "Ärzte ohne Grenzen" durchgeführt.APA/AFP/ANGELOS TZORTZINIS
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Im Juli sind so wenige Flüchtlinge nach Italien gekommen wie zuletzt 2014. "Ärzte ohne Grenzen" wirft der EU vor, Migranten nach Libyen zurückschicken zu wollen.

Die stärkere Präsenz der libyschen Küstenwache ist nach Einschätzung der EU-Grenzschutzagentur Frontex ein Grund dafür, weshalb im Juli deutlich weniger Migranten Italien erreicht haben. Die Küstenwache schrecke Schmuggler ab, Menschen mit Booten in Richtung Europa zu schicken, teilte Frontex am Montag mit. 10.160 Ankünfte im Juli markierten den niedrigsten Wert in diesem Monat seit 2014.

Schlechte Wetterbedingungen sowie Kämpfe in der libyschen Stadt Sabrata, von wo aus viele Flüchtlingsboote abfahren, seien weitere Faktoren gewesen, teilte Frontex mit. Über die zentrale Mittelmeerroute zwischen Libyen und Italien hatten im Vergleich zum Juni nur noch halb so viele Migranten Europa erreicht, laut Frontex waren es 10.160 Menschen, das Innenministerium in Rom gibt die Zahl der Ankünfte mit 11.459 an.

Spanien rückt mehr in den Fokus

Während sich die Lage für Italien zu entspannen scheint, erlebe Spanien den "größten Migrationsdruck" seit 2009, so Frontex. Über das westliche Mittelmeer gelangten mit rund 2.300 Menschen im Juli viermal so viele nach Europa wie im Vorjahreszeitraum. In den ersten sieben Monaten dieses Jahres lag die Zahl bereits höher als die der Ankünfte im ganzen Jahr 2016. Frontex erklärt das mit wachsender Instabilität einiger Herkunfts- und Transitländer und dem Rückbau einiger Flüchtlingscamps in Marokko und Algerien.

Wegen des forschen Auftretens der libyschen Küstenwache haben in den vergangenen Tagen einige Hilfsorganisationen ihre Rettungseinsätze im Mittelmeer eingestellt. Ärzte ohne Grenzen (MSF), Save the children und Sea Eye protestierten damit gegen den Beschuss ihrer Schiffe durch libysche Grenzschützer.

"Kommt einem Todesurteil gleich"

MSF-Migrationskoordinator Stefano Argenziano erhob schwere Vorwürfe gegen die Europäische Union, die Migranten in Libyen "blockieren" wolle. Der "offenbar langfristige Plan" der EU sei es, Migranten nach Libyen zurückzubringen, sagte Argenziano gegenüber der Austria Presse Agentur. Dies sei "extrem besorgniserregend". "Wenn wir die Menschen nach Libyen bringen, kommt das einem Todesurteil für sie gleich - oder zumindest einem Leben unter dauerhafter Gewalt."

MSF warf der Regierung in Tripolis vor, auch legale Rettungsaktionen zu behindern. Die deutsche Bundesregierung erklärte, sie habe keine belastbaren Erkenntnisse über das Verhalten der libyschen Küstenwache, bemühe sich aber um Aufklärung. "Wir erwarten, dass die Küstenwache und die libysche Einheitsregierung sich an internationales Recht hält", sagte ein Sprecher des deutschen Außenministeriums. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte, es gebe noch kein klares Lagebild darüber, ob die libysche Küstenwache ihre Such- und Rettungszone für Flüchtlingsschiffe vor der Küste ausweite.

Mangelnde EU-Solidarität

Unterdessen ging die Diskussion über gemeinsame europäische Anstregungen in der Migrationskrise weiter. EU-Flüchtlingskommissar Dimitris Avramopoulos und der italienische Außenminister Angelino Alfano forderten mehr Koordination der Beteiligten. Der griechische Kommissar rief die Hilfsorganisationen auf, den umstrittenen italienischen Verhaltenskodex für Rettungseinsätze zu akzeptieren. "Je breiter die geeinte Front, desto leichter wird es sein, die Schleppernetzwerke zu zerschlagen", sagte Avramopoulos den Zeitungen der Funke-Gruppe. Zugleich nahm er die privaten Seenotretter in Schutz. "Die Mehrheit der Nichtregierungsorganisationen hilft uns bei unseren Bemühungen, Leben zu retten." Heuer hatten die privaten Schiffe mehr als ein Drittel aller Migranten aufgegriffen.

Alfano forderte, dass die anderen EU-Partner sein Land stärker unterstützen müssten. Das Umverteilungsprogramm für Flüchtlinge funktioniere nicht, sagte er der "Bild". "Es fehlt an einer gemeinsamen europäischen Migrationspolitik, die sich der Ankünfte aus Afrika annimmt". Italien könne diese Last nicht allein tragen, sagte Alfano. "Genauso brauchen wir dringend mehr gemeinsame Anstrengungen, um in Libyen die Lage zu verändern, damit man den Menschenhandel bekämpfen und die Flüchtlingsströme steuern kann." Alfano rechnet nach eigenen Worten bis Ende des Jahres mit mehr als 200.000 Menschen, die über die Mittelmeerroute nach Europa kommen. "Und weitere Hunderttausende Menschen warten in Libyen auf die gefährliche Überfahrt, die häufig tödlich endet."

(APA/dpa/Reuters)

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