Am Mittwoch legt der EU-Kommissionspräsident in seiner „Rede zur Lage der Union“ neue Reformideen vor. Die Umsetzung wird ihm verweigert werden, das ist ihm leidlich bewusst.
Nach Euro- und Flüchtlingskrise wäre es an der Zeit für einen Neuaufbruch in der EU. Der rechtliche Wildwuchs muss beseitigt, aufgestaute Probleme abgearbeitet und Zukunftsperspektiven entwickelt werden. Das ist Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bewusst. In seiner "Rede zur Lage der Union" will er am Mittwoch Pläne für eine Sozialunion, für eine engere Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen und weitere Vorstöße präsentieren. Aber die Chancen für deren Umsetzung sind gering. Das weiß er mittlerweile auch selbst: „Die Spaltung zwischen Ost- und Westeuropa „belastet mich in meinem Denken und Tun“, gab er kürzlich in einem Interview mit „Politico“ offen zu. Sobald er etwas vorschlage, werde es zwischen diesen beiden Teilen der EU zerrieben.
Da ist allen voran die Flüchtlingskrise, die ohne Osteuropa nicht nachhaltig gelöst werden kann. Will die EU die Auswahl von Asylberechtigungen mittelfristig nach Nordafrika und in den Nahen Osten verlagern, kommt sie um ein gemeinsames Asylrecht und eine geregelte Aufteilung der Aufnahmeberechtigten nicht herum. Ungarn, Polen, die Slowakei und Tschechien (Visegrád-Länder) blockieren dies. Da ist die Sozialunion: Juncker plant neue Mindeststandards für Arbeitnehmer, damit der Binnenmarkt die Konvergenz fördert, statt ihr entgegen zu wirken. Aber die Visegrád-Länder sind dagegen, weil sie Eingriffe in nationales Recht und Wettbewerbsnachteile befürchten. Juncker will unter anderem die Entsenderichtlinie reformieren, damit der Binnenmarkt bei grenzübergreifenden Dienstleistungen reibungslos funktioniert. Während westliche Länder wie Frankreich oder Österreich über diese Reform Lohndumping unterbinden wollen, halten die Osteuropäer mit Forderungen nach einem möglichst offene Zugang für ihre Billiganbieter dagegen.