Katalonien-Krise: Spanien wird zum EU-Problem

Studenten protestieren in Barcelona für die Unabhängikeit.
Studenten protestieren in Barcelona für die Unabhängikeit. (c) imago/ZUMA Press (Xavier Bonilla)
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Die Brüsseler Institutionen halten sich vor dem illegalen Unabhängigkeitsreferendum am Sonntag völlig bedeckt.

Brüssel. Drei Tage vor der mit wachsender Sorge erwarteten Volksabstimmung über die Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien kristallisiert sich heraus, wie wenig Gedanken sich die Spitzen der Europäischen Union bisher über diese drohende erste Sezession innerhalb eines Unionsmitgliedstaats gemacht haben. Keiner der drei Präsidenten von Kommission, Europäischem Rat und Europaparlament hat es bisher für notwendig erachtet, schlichtend in den zusehends hasserfüllten Disput zwischen Madrid und der katalanischen Regionalregierung einzugreifen.

Besonders die Rolle der Europäischen Kommission ist in dieser Hinsicht problematisch. Sie wehrt Fragen nach ihrer Beurteilung des Referendums am Sonntag seit Wochen mit dem Stehsatz ab, dass sie die Rechtslage in Spanien respektiere, sich darüber hinaus aber nicht in interne Verfassungsbelange der Mitgliedstaaten einmischen wolle. Das wirft die Frage auf, ob die Kommission nicht möglicherweise mit zweierlei Maß misst, wenn sie zu Katalonien schweigt, hingegen die innenpolitischen Vorgänge in Staaten wie Ungarn und Polen, wo mindestens ebenso erbittert über rechtsstaatliche, grundrechtliche und demokratische Grundsätze gestritten wird wie in Spanien, nicht nur kommentiert, sondern deshalb mehrere Vertragsverletzungsverfahren gegen die Regierungen in Budapest und Warschau lanciert hat.

Bemerkenswert an der Haltung der Kommission ist zudem, dass sie sich vor drei Jahren im Vorfeld des schottischen Unabhängigkeitsreferendums wesentlich lauter und klarer in die Debatte eingebracht hat – vor allem mit Warnungen an die Schotten, dass sie im Fall einer Abspaltung vom Vereinten Königreich aus der EU ausscheiden würden. Auf diese Selbstverständlichkeit haben die Sprecher von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zwar auf Nachfragen bereits ebenfalls hingewiesen. Mit der ungeschickten Formulierung in einer Diskussion mit YouTube-Teilnehmern, wonach er ein Ja-Ergebnis des Referendums akzeptieren würde, hat Juncker sich den Ärger Madrids eingehandelt, während sich die katalanischen Separatisten bestätigt fühlten.

Brüsseler Funkstille

Tags darauf musste Junckers Vizepräsident, Frans Timmermans, die Wogen glätten: Der Präsident habe natürlich gemeint, dass nur ein im Rahmen der spanischen Verfassung legales Referendum für die Kommission annehmbar wäre. Das sei bei der Abstimmung am Sonntag jedoch nicht der Fall. Der spanische Verfassungsgerichtshof hat die beiden Gesetze für illegal erklärt, die am 6. September mitten in der Nacht im katalanischen Parlament unter dem Protest der Opposition durchgepeitscht worden sind und die Grundlage für das Referendum sowie gegebenenfalls schon am Dienstag die Erklärung der Unabhängigkeit sind.

Die Kommission ist zudem nicht einmal bereit, als Vermittlerin die Wogen zu glätten zu versuchen. Barcelonas Bürgermeisterin, Ada Colau, hat in einem am Donnerstag veröffentlichten Brief darum gebeten. Junckers Sprecher wollte jedoch selbst auf mehrfache Nachfrage nicht sagen, ob der Kommissionsvorsitzende schlichten wolle oder nicht.

Während sämtliche EU-Spitzen am Donnerstag zu einem informellen Gipfeltreffen nach Tallinn aufbrachen, machte die katalanische Regierung unmissverständlich klar, dass sie den spanischen Verfassungsgerichtshof nicht respektiert: „Das Erbe des Frankismus ist noch da. Schauen Sie nur, wer im Verfassungsgericht sitzt“, sagte Raül Romeva, der Minister für Auswärtiges, institutionelle Fragen und Transparenz, gestern bei einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz in Brüssel mit Hinweis auf die einstige faschistische Diktatur unter Francisco Franco.

„Die Rechtmäßigkeit des Referendums ist kein echtes Problem. Die Kommission kann nicht mehr so tun, als sei das eine rein innere Angelegenheit.“ Die Frage, ob er die Abstimmung absagen würde, falls Madrid ein echtes Gesprächsangebot macht, ließ Romeva unbeantwortet. „Es gibt kein katalanisches Problem“, sagte er.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.09.2017)

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