Streit um deutsche Maut: Österreich zieht einsam vor den EuGH

Verkehrsminister Leichtfried bezeichnet das Vorgehen der EU-Kommission als „Skandal“.
Verkehrsminister Leichtfried bezeichnet das Vorgehen der EU-Kommission als „Skandal“.(c) APA/HANS PUNZ
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Die Regierung hofft, dass die deutsche Maut aus rechtlichen Gründen vor dem geplanten Start 2019 fällt. Ein Gutachter sieht gute Chancen.

Wien. Was Verkehrsminister Jörg Leichtfried seinem deutschen Amtskollegen, Alexander Dobrindt, am Mittwoch ankündigte, kam für diesen wohl wenig überraschend: Österreich macht ernst mit der lang angedrohten Klage gegen die deutsche Pkw-Maut.

Während Leichtfried am Donnerstagvormittag vor Journalisten trat, war die 30–seitige Klageschrift des Bundeskanzleramts bereits auf dem Weg zum Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg. Die Standpunkte sind seit Monaten klar. Dennoch habe er „bis zum Schluss gehofft, dass die Deutschen zur Vernunft kommen oder die Kommission dem Treiben ein Ende setzt“, so der SPÖ-Minister.

Worum geht es? Die Maut ist die Trophäe der bayrischen CSU. Dobrindt hatte in der Zeit der rot-schwarzen Regierung allen Kritikern zum Trotz ein Modell durchgesetzt, in dem zwar alle Autofahrer zahlen, die deutschen Lenker ihr Geld aber über eine Steuerentlastung zurückbekommen. Die EU-Kommission hatte ein Vertragsverletzungsverfahren wegen der Diskriminierung von EU-Bürgern gestartet, nach Detailmodifizierungen wie einem Ökobonus im Mai aber wieder eingestellt.

Niederländer wollen folgen

Österreich kämpft seitdem auf einsamem Posten gegen die von Leichtfried vielfach kritisierte „Ausländermaut“. Die bisher stärksten Verbündeten, die Niederlande, erklärten am Donnerstag, man warte die rechtliche Begründung ab, bevor sich die frische Regierung in das Verfahren einschalten werde. Tschechische Politiker betonten hingegen, das Land wolle es sich mit dem größten Handelspartner nicht verscherzen.

Dass die EU-Kommission die dreimonatige Frist für die Wiederbelebung des Verfahrens verstreichen ließ, nannte Leichtfried einen „Skandal“. Der Innsbrucker Europarechtler Walter Obwexer steuerte ein Gutachten bei, in dem er die „indirekte Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit“ belegt und der Klage „begründete Aussicht auf Erfolg“ attestiert. Ein Urteil erwartet er frühestens Ende 2018/Anfang 2019 – also möglicherweise rechtzeitig, bevor die Mautsysteme eingeschaltet werden. Sollte der EuGH das Gesetz so weiter tolerieren, müsste er seine Rechtsprechung zum Diskriminierungsverbot ändern – was ähnlich unsolidarischen Modellen in der EU die Tür öffne. „Das wäre ein größerer Spaltpilz als der Brexit.“

Der Zeitpunkt der Klage drei Tage vor der Nationalratswahl sei der Frist der Kommission geschuldet, betonte Leichtfried. Die zukünftige Regierung könnte sie bis zur mündlichen Verhandlung Mitte 2018 zurückziehen. Er sehe aber keine Gefahr, dass das passiert.

Während das deutsche Verkehrsministerium am Donnerstag klarstellte, dass die Ausschreibungen für die Mautsysteme bereits laufen und „die Maut kommt“, warnte die SPD vor der weiteren Umsetzung: „Die Gefahr ist zu groß, dass ansonsten Millionen Steuergelder verbrannt werden.“

Vor der Bundestagswahl war der SPD-Spitzenkandidat, Martin Schulz, auf die Linie der Oppositionsparteien wie FDP und Grüne eingeschwenkt und hatte bei seinem Sieg die Abschaffung der Maut versprochen. FDP und Grüne dürften demnächst anders als die SPD in der geplanten Jamaika-Regierung sitzen. Die Zukunft des CSU-Prestigeprojekts hängt dann nicht nur vom EuGH-Spruch ab. (loan)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.10.2017)

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