Theresa May hat kein politisches Kapital mehr

Am Montag deuteten alle Vorzeichen auf eine erneute Niederlage hin.
Am Montag deuteten alle Vorzeichen auf eine erneute Niederlage hin. REUTERS
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Die Premierministerin hat die Kontrolle über den Brexit-Prozess verloren – im Unterhaus droht ihr eine neue Niederlage.

London/Brüssel. Noch 18 Tage trennen Großbritannien vom Austritt aus der Europäischen Union. Der zweijährige Artikel-50-Prozess, den die britischen Abgeordneten im März 2017 mit überwältigender Mehrheit eingeleitet hatten, geht am 29. März planmäßig zu Ende – doch eine realistische Austrittsperspektive fehlt den Briten nach wie vor.

Am Dienstag soll das Unterhaus (sofern der Terminplan hält) über das Abkommen abstimmen, das Premierministerin Theresa May mit der EU vereinbart hat. Beim ersten Anlauf im Jänner war May gescheitert, die Abgeordneten bescherten ihr damals mit 432 zu 202 Stimmen eine krachende Niederlage. Bei dem Votum am Dienstag sollte es um eine modifizierte Fassung des Brexit-Deals gehen – doch da die EU die von London gewünschten Änderungen nicht akzeptieren wollte, muss sich die Premierministerin mit demselben Verhandlungsergebnis der Abstimmung stellen.

Am Montag deuteten alle Vorzeichen auf eine erneute Niederlage hin. Die Ratlosigkeit im Lager der Regierungschefin war so groß, dass zeitweise darüber spekuliert wurde, May würde die Abgeordneten nicht über den tatsächlich vorliegenden Deal abstimmen lassen, sondern über ihre Wunschvariante – vereinfacht ausgedrückt will London erreichen, dass die Auffanglösung (Backstop), die Grenzkontrollen zwischen Nordirland und der Republik Irland vermeiden soll, von den Briten einseitig aufgekündigt werden kann. Für die EU widerspricht die Forderung der Logik des Backstop, der als Versicherungspolizze gegen das Wiederaufflammen des konfessionellen Nordirland-Konflikts gedacht ist.

Die Hoffnungen auf eine weitere Galgenfrist scheiterten allerdings an der Realität der britischen Gesetzgebung – der geltende Gesetzestext (EU Withdrawal Act 2018), der den Brexit von der britischen Seite her regelt, sieht nämlich eine Abstimmung über das „verhandelte Austrittsabkommen“ vor und nicht über ein herbeigewünschtes Verhandlungsergebnis.

Letzte Ausfahrt: Straßburg?

Mays Bewegungsspielraum wird immer kleiner. Montagmittag telefonierte die Premierministerin mit Jean-Claude Juncker, am Abend flog sie dann nach Straßburg und wurde vom EU-Kommissionschef im Europäischen Parlament empfangen. Vorgesehen waren Gespräche mit Juncker und dem EU-Verhandlungsführer Michel Barnier.

Scheitert May im Unterhaus, sollen die Abgeordneten am Mittwoch bzw. Donnerstag über eine Verlängerung der Austrittsfrist abstimmen. Auch ein Votum über das Ausschließen eines No-Deal-Brexit steht auf der Agenda. Freilich hat diese zweite Abstimmung nur theoretischen Charakter, denn in der Praxis tritt Großbritannien – unabhängig von allen Deklarationen der Parlamentarier – am 29. März aus der EU aus. Um das zu ändern, müssten die Abgeordneten entweder das geltende Austrittsgesetz zu Fall bringen oder den Austritt aufschieben bzw. streichen. Für keine dieser Optionen gibt es momentan eine Parlamentsmehrheit.

Auch in Brüssel ist die Stimmung resignativ. Dem Vernehmen nach bereitet sich die Kommission auf den No Deal vor – in der EU geht man zusehends davon aus, dass ernsthafte Verhandlungen erst mit einem Nachfolger bzw. einer Nachfolgerin von Theresa May möglich sein werden. Demnach habe May ihr politisches Kapital verspielt und sei nicht mehr in der Lage, einen in Brüssel fixierten Deal durch das Parlament zu bugsieren.

(Ag./red.)

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