Das britische Unterhaus will am Mittwoch in Testabstimmungen Alternativen zu dem Brexit-Deal der britischen Premierministerin ausloten. Die Rücktrittsspekulationen rund um May halten an.
Das britische Parlament hat der Regierung die Kontrolle über den Brexit-Prozess abgerungen. Die Abgeordneten stimmten am späten Montagabend mit 329 zu 302 für einen Antrag, der ihnen gegen den Willen von Premierministerin Theresa May vorübergehend mehr Einfluss auf das weitere Vorgehen im Ringen um den Brexit-Kurs verschafft.
Am Mittwoch wird nun in Testabstimmungen über Alternativen zu Mays Brexit-Abkommen abgestimmt. Mit ihnen soll ausgelotet werden, welcher alternative Plan eine Mehrheit im Unterhaus finden könnte. Als denkbar gilt etwa eine Variante, die eine engere Anbindungen an die EU anstrebt. Aber auch eine wegen potenziell schwerwiegender wirtschaftlicher Folgen von vielen besonders befürchteten Scheidung ohne Abkommen ist nicht vom Tisch. Die restlichen EU-27 müssten dem Ergebnis freilich noch zustimmen.
Damit ist weiter völlig offen, wann, wie oder gar ob es überhaupt zum Brexit kommt. Die Abstimmung zeigte, wie sehr May selbst in den eigenen Reihen an Autorität eingebüßt hat. Rund 30 Abgeordnete von Mays konservativer Partei stimmten für die vorübergehende Stärkung des Abgeordnetenhauses, darunter auch drei Staatssekretäre. Alistair Burt (Außenpolitik), Richard Harrington (Industrie) und Steve Brine (Gesundheit) erklärten danach aus Protest gegen die Haltung de Regierung ihren Rücktritt.
May hält an ihrem Deal fest
Harrington, der seinen Rücktritt via Twitter bekanntgab, warf der Regierung vor, "Roulette" mit dem Schicksal der Bevölkerung zu spielen. Er wolle alles ihm mögliche unternehmen, um einen EU-Austritt Großbritanniens ohne Abkommen zu verhindern.
May hat erklärt, dass es sich am Mittwoch lediglich um Probeabstimmungen handle, an deren Ergebnis sie nicht gebunden sei. Nichtsdestotrotz würden die Abstimmungen erhebliches politisches Gewicht haben und den Druck auf die Premierministerin erhöhen.
Spekulationen über Mays Zukunft kochten zuletzt wiederholt hoch. Die Zeitung "The Sun" berichtete in der Nacht auf Dienstag, May habe führenden Euroskeptikern aus ihrer Partei am Sonntag in Aussicht gestellt, im Gegenzug für eine Zustimmung zu ihrem Brexit-Vertrag könnte sie einen Rücktritt in Betracht ziehen. Der konservative Abgeordnete Andrew Bridgen sagte dem Sender Sky News, er halte es für wahrscheinlich, dass im Sommer Neuwahlen angesetzt würden.
Auf einen Blick
Brexit-Fahrplan. Eigentlich sollte Großbritannien am 29. März aus der EU austreten. Angesichts des Streits in London hat die EU London einen Aufschub gewährt. Nimmt das britische Parlament das von Premierministerin May ausgehandelte Austrittsabkommen an, wird der Brexit auf den 22. Mai verschoben. Ansonsten müssen die Briten bis spätestens 12. April die EU über ihr weiteres Vorgehen informieren.
Die Abstimmung über den Antrag des Abgeordneten Oliver Letwin, mit dem sich das Unterhaus die Kontrolle über das weitere Vorgehen verschaffte, war angesetzt worden, nachdem May eingeräumt hatte, dass ihr Brexit-Vertrag wohl auch bei einem dritten Anlauf derzeit am Widerstand im Parlament scheitern würde. Gleichzeitig betonte sie, weiterhin um Unterstützung für ihren Vertrag zu werben, um doch noch ein drittes Votum zu ermöglichen. Im Gespräch dafür ist der kommende Donnerstag.
EU hat Notfallplan abgeschlossen
Diese Pattsituation ist der Hauptgrund dafür, dass die EU-Kommission den „No Deal“-Brexit mittlerweile als wahrscheinlich einstuft. Die Brüsseler Behörde ließ am Montag wissen, dass die Vorbereitungen auf ein ungeregeltes Ausscheiden der Briten abgeschlossen seien.
Das EU-Notprogramm umfasst insgesamt 15 Punkte – von der Gewährleistung den Flug- und Bahnverkehrs, über Fischerei und die Aufrechterhaltung des Handels mit CO2-Emissionen, bis hin zum visafreien Reisen, dem Studentenaustauschprogramm Erasmus und dem Zugang zu Gesundheitsversorgung für in Europa lebende Briten. Für besorgte EU-Bürger wurde unter der Telefonnummer 00800-67891011 eine kostenlose Brexit-Hotline in allen Amtssprachen der EU eingerichtet.
Sollten sich die Befürchtungen der Kommission bewahrheiten, würden die Beziehungen Großbritanniens zur EU nach dem harten Austritt lediglich durch das allgemeine Völkerrechte einschließlich der WTO geregelt.
(APA/Reuters/AFP/dpa/red.)