EU-Gerichtshof: Die einkassierte Maut

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Germany, Baden-Wuerttemberg, Autobahn A8 near Wendlingen in the evening, light trails(c) Werner Dieterich / Westend61 / picturedesk.com
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Österreich hat die Klage gegen die deutsche Pkw-Maut gewonnen. Österreichische Autofahrer profitieren davon, Kapsch verliert.

Wien/Berlin/Luxemburg. Rund 13.000 Kilometer Autobahn durchziehen Deutschland. Man darf sie kostenlos benützen. Auch weiterhin und als Ausländer. Denn die deutsche Pkw-Maut ist tot. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat das Projekt am Dienstag beerdigt – weil die Maut, die eigentlich Infrastrukturabgabe heißt, gegen EU-Recht verstoße. Österreich hatte vor dem EuGH geklagt. Und jetzt? Vier Fragen und Antworten.

1 Warum hat der EuGH Österreich recht gegeben und Deutschland verurteilt?

Es handelt sich erst um das zweite Urteil in der Geschichte der EU, mit dem ein Mitgliedstaat mit einem Vertragsverletzungsverfahren gegen einen anderen recht bekommen hat. Der EuGH stellt fest, dass die ab 2020 geplante Mautregelung mehrfach gegen Prinzipien des EU-Rechts verstößt. Zum einen bewirkt sie eine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit: Die wirtschaftliche Last der Autobahngebühr trifft praktisch ausschließlich Autofahrer aus anderen Mitgliedsländern (sowie Drittstaaten). Denn die Halter deutscher Pkw hätten über eine niedrige Kfz-Steuer entlastet werden sollen. Weiters verletzt Deutschland mit der Maut den Grundsatz des freien Warenverkehrs, weil es den Zugang für Produkte aus anderen EU-Staaten auf den deutschen Markt erschwert.

Das Gleiche gilt, drittens, für den freien Dienstleistungsverkehr. Bloß die von Österreich ebenfalls bemängelte Ausgestaltung des Vollzugs ist laut EuGH nicht diskriminierend: Von einer stichprobenartigen Überwachung und dem möglichen Verbot einer Weiterfahrt wären alle gleichermaßen betroffen. Die bisher einzige erfolgreiche Vertragsverletzungsklage wurde übrigens bereits 1979 entschieden: England durfte demnach Franzosen in seinen Gewässern nicht das Fischen von Langusten verbieten, weil es Vorschriften über die Beschaffenheit von Netzen nicht vorab notifiziert hatte.

2 Wie überraschend ist es, dass der Gerichtshof nicht dem Generalanwalt gefolgt ist?

Nicht besonders. Es trifft zwar zu, dass der EuGH in der Mehrzahl der Fälle den Schlussanträgen der Generalanwälte folgt. Diese stützen sich aber meist auf frühere Urteile des Gerichtshofs selbst. Wenn Generalanwälte hingegen zu bisher nicht entschiedenen Fragen Stellung nehmen oder gar eine Änderung der Rechtsprechung einleiten wollen, übernimmt der EuGH ihre Einschätzung gerade einmal in jedem zweiten Fall, schätzt der Salzburger Europarecht-Experte Stefan Griller. Im deutsch-österreichischen Mautfall (in dem Österreich von den Niederlanden unterstützt wurde, Deutschland von Dänemark) hatte Generalanwalt Nils Wahl mit der Judikatur des EuGH gebrochen: Der als sehr liberal geltende Schwede hatte gemeint, dass bei Maßnahmen, die den Staat Geld kosten (wie hier der Erhaltung der Straßen), zwischen In- und Ausländern unterschieden werden dürfe. Damit hätte er Diskriminierungen nach Staatsangehörigkeit Tür und Tor geöffnet.

3 Wer sind die Gewinner und wer die Verlierer?

Das Urteil ist eine Ohrfeige für die Große Koalition in Berlin, vor allem für die CSU. Die Pkw-Maut war ihr wichtigstes Prestigeprojekt. Schon in den Achtzigern kokettierte die CSU mit einer solchen Gebühr, um den Ärger bayrischer Urlauber über das Mautsystem etwa in Italien einzusammeln. 2013 dann wurde die Pkw-Maut zum Wahlkampfschlager, für alle anderen Parteien blieb sie ein Ärgernis. CDU und SPD stimmten dem Projekt nur aus Koalitionsräson zu. Es gab auch Widerstand aus den Bundesländern und von der EU-Kommission. Brüssel wurde mit Nachbesserungen besänftigt, mit den Ländern wurde gedealt. Das Aus kam nun – in den Worten von Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) – im „Elfmeterschießen“. Und zwar gegen Österreich. Zu den finanziellen Gewinnern zählen laut ÖAMTC geschätzte 1,8 Millionen österreichische Autofahrer, die von der Maut betroffen gewesen wären. Einen rot-weiß-roten Verlierer gibt es aber auch: Der Konzern Kapsch Traffic Com hatte mit einem deutschen Partner den Zuschlag für das Mautsystem erhalten. Kapsch hat sich zwar vertraglich gegen das Aus abgesichert, das Umsatzwachstum dürfte sich nun aber schmälern.

4 Ist das Mautprojekt damit endgültig gestorben?

Verkehrsminister Scheuer macht sich keine Illusionen: „Die Pkw-Maut ist in dieser Form leider vom Tisch.“ Eilig bildete er am Dienstag eine Taskforce. Am Plan einer Nutzerfinanzierung der Infrastruktur will er zwar festhalten. Ein neuer Anlauf für eine Pkw-Maut käme jedoch „verfrüht“. Vor allem aber deutete der Koalitionspartner SPD schon an, eine neue Maut-Offensive abzulehnen. CDU und SPD hatten insistiert, dass es durch die Maut keine Mehrbelastung für deutsche Autofahrer geben dürfe. Doch genau an dieser Ungleichbehandlung stieß sich der EuGH.

Kanzlerin Angela Merkel hatte davor, im Wahlkampf 2013, überhaupt versprochen: „Eine Pkw-Maut wird es mit mir nicht geben.“ In den Koalitionsverhandlungen knickte sie dann ein. Und hielt nun doch unverhofft Wort: Eine Pkw-Maut wird es in der Ära Merkel wohl wirklich nicht mehr geben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.06.2019)

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