Italien ist zu einer Kontrolle seines Spar- und Reformprogramms durch den IWF bereit. Regierungschef Silvio Berlusconi verliert unterdessen die Mehrheit in der Abgeordnetenkammer. Suche nach Expertenregierung.
Rom/Ag/Red. Um die Finanzmärkte zu beruhigen, ist Italien zu einer Kontrolle seines Spar- und Reformprogramms durch den Internationalen Währungsfonds (IWF) bereit. Ministerpräsident Silvio Berlusconi hat dieser Überwachung in einem Gespräch mit Vertretern der Eurozone und US-Präsident Barack Obama am Rande des G20-Gipfels in Cannes zugestimmt. Bereits beim letzten EU-Gipfel hatte er sich zu einer Kontrolle durch die EU-Kommission bereiterklärt. Berlusconi versuchte diese Tatsache am Freitag kleinzureden: „Der IWF wird keine Urteile über die Reformen abgeben, sondern lediglich bezeugen, dass die mit der EU vereinbarten Maßnahmen umgesetzt werden, was mit keinerlei Einschränkungen verbunden ist.“ Auch EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy versuchte zu beruhigen. Das sei kein „Diktat“.
Italien läuft allerdings nach wie vor Gefahr, nach einer Pleite Griechenlands zum nächsten Angriffsziel der Finanzmärkte zu werden. Gründe sind die hohe Gesamtverschuldung von 120 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung und das derzeit geringe Wirtschaftswachstum. Im Gegensatz zu anderen Krisenländern ist Italien überwiegend bei inländischen Geldgebern verschuldet. Die Europäische Zentralbank (EZB) und der Euro-Rettungsfonds (EFSF) sollen nach französischer Vorstellung intervenieren, falls es auf den Finanzmärkten eine Attacke auf Italien gibt. „Die EZB und der Fonds stehen bereit, falls dies nötig ist“, sagte der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy.
Neuwahlen oder Expertenregierung?
Zur Beunruhigung trägt bei, dass sich in Rom eine neue Regierungskrise abzeichnet. Ministerpräsident Berlusconi hat die Mehrheit in der Abgeordnetenkammer verloren. Fünf Parlamentarier sind in den letzten Tagen aus dem Regierungslager ausgetreten. Zwei Abgeordnete, Alessio Bonciani und Ida D'Ippolito, schlossen sich am Donnerstag der oppositionellen christdemokratischen UDC an. Drei weitere Berlusconi-Parlamentarier haben diese Woche das Regierungslager verlassen. Damit kann der Regierungschef nur noch mit 314 Stimmen im 630 Mitglieder zählenden Abgeordnetenhaus rechnen. Die erste Machtprobe findet am Dienstag statt, wenn Berlusconi eine heikle Abstimmung über das Budget durch das Parlament bringen muss. Nächste Woche unterzieht sich Berlusconi zudem einer Vertrauensabstimmung im Senat.
Christdemokraten werben Abgeordnete ab
Sechs seiner verbliebenen Abgeordneten haben zudem in einem Brief gefordert, dass Berlusconi zurücktritt und den Weg für eine Allparteienregierung freimacht. Der Vorsitzende von Berlusconis Partei „Popolo della Liberta“ (PdL), Angelino Alfano, befürchtet bereits eine Massenabwanderung aus der Gruppierung. Die christdemokratische UDS versuche, Parlamentarier abzuwerben, um eine neue Zentrumspartei zu gründen. „Damit könnte die Regierung stürzen“, warnte Alfano. Als möglicher neuer Regierungschef einer Mitte-rechts-Koalition wird indessen Staatssekretär Gianni Letta genannt.
Selbst die Lega Nord, die bisher treueste Verbündete von Premier Berlusconi, glaubt nicht mehr an die Überlebenschance des derzeitigen Mitte-rechts-Kabinetts. Als Lösung gibt Lega-Nord-Chef Umberto Bossi Neuwahlen den Vorzug vor einer Expertenregierung. Diese wird von Staatspräsident Giorgio Napolitano forciert. Er hat Berlusconi noch eine letzte Galgenfrist gegeben, die von den EU-Partnern geforderten Reformen zügig umzusetzen. Sollte das nicht gelingen, will er eine Übergangsregierung unter dem früheren EU-Kommissar Mario Monti einsetzen. Napolitano führte dazu in den letzten Tagen Gespräche mit allen Parteichefs.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.11.2011)