Merkel will Macht an Brüssel abgeben

Angela Merkel
Angela Merkel(c) Reuters (THOMAS PETER)
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Die deutsche Kanzlerin plädiert für eine politische Union und eine gemeinsame Haushaltspolitik. Die Deutschen sind misstrauisch: Mehr als die Hälfte will inzwischen die D-Mark zurück.

Wien/Berlin/Jil. So deutlich hat sich Angela Merkel, deutsche Kanzlerin und mächtigste Frau in Europa, noch nie zu ihrer Zukunftsvision für die EU geäußert: „Wir brauchen nicht nur eine Währungsunion, sondern wir brauchen auch eine sogenannte Fiskalunion, also mehr gemeinsame Haushaltspolitik“, so Merkel am Donnerstag in der ARD.

Die Kanzlerin machte bei dieser Gelegenheit auch kein Hehl daraus, was mehr gemeinsame Haushaltspolitik in Europa für die nationalen Parlamente bedeuten würde: „Wir brauchen vor allen Dingen auch eine politische Union, das heißt, wir müssen Schritt für Schritt im weiteren Verlauf doch auch Kompetenzen an Europa abgeben, Europa auch Kontrollmöglichkeiten einräumen.“

Druck aus London

Beim EU-Krisengipfel Ende Juni soll es bereits einen Arbeitsplan für diese politische Union geben. Ziel des Gipfels sei ein klares Bekenntnis für „mehr Europa“ und die Etablierung eines Zeitplans für weitere Reformschritte, so Merkel. Gleichzeitig warnte Merkel aber vor zu hohen Erwartungen an den Gipfel: Sie glaube nicht, dass es ein Ratstreffen geben werde, „auf dem der große Wurf entstehen wird“. Der Rat findet am 28. und 29. Juni in Brüssel statt.

Die Aussagen der deutschen Kanzlerin kommen nur einen Tag nachdem US-Präsident Barack Obama und der britische Premierminister David Cameron einen „Sofortplan“ für die angeschlagene Eurozone verlangt haben. Cameron war zudem am Donnerstag in Berlin, wo er seine Forderung wiederholte. Dass eine weitere Vertiefung der Währungsunion ein „Europa der zwei Geschwindigkeiten“ bringen würde, scheint Merkel nicht zu stören: „Wir haben durch den Euro quasi ein Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten“, sagte sie am Donnerstag. „Das wird sich verstärken, denn wer in einer Währungsunion zusammen ist, wird enger zusammenrücken müssen.“ Man müsse offen sein und allen Mitgliedstaaten die Möglichkeit geben, an Integrationsschritten teilzunehmen, so Merkel: „Aber wir dürfen nicht deshalb stehen bleiben, weil der eine oder andere noch nicht mitgehen will.“

Außerdem sei es beim Fiskalpakt sogar gelungen, dass sich 25 der 27 EU-Mitglieder auf eine straffere Budgetdisziplin geeinigt haben – nur Großbritannien und Tschechien haben dem Fiskalpakt nicht zugestimmt. Nach zwei Jahren Schuldenkrise und einer ganzen Reihe von Ad-hoc-Lösungsversuchen scheint sich sowohl in Berlin als auch in Brüssel die Erkenntnis durchzusetzen, dass ein großer Plan für Europa hermuss – oder zumindest ein Fünfjahresplan für den Euro. Auf ihrem informellen Treffen am 23. Mai haben die Staats- und Regierungschefs dem EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy, Kommissionschef José Manuel Barroso, dem Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker und dem Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, einen Auftrag erteilt: Die vier sollten einen Masterplan für die EU entwerfen. Van Rompuy will beim Gipfel Ende Juni Eckpunkte dieses Plans präsentieren. Er soll Vorschläge zu Strukturreformen und der Schaffung einer dreifachen Union beinhalten: Fiskalunion, Bankenunion und politische Union. Die EU-Kommission ließ allerdings dementieren: „Es gibt keinen Geheimplan für die Umstrukturierung der Union, die Rettung des Euro oder für andere Dinge“, sagte eine Barroso-Sprecherin.

Widerstand in Deutschland

Während Merkel weiterhin „mehr Europa“ fordert, kippt die Stimmung in ihrem Volk. So sorgt sich laut einer aktuellen ARD-Umfrage inzwischen mehr als die Hälfte der Deutschen um ihre Ersparnisse. Mehr als drei Viertel glauben, dass die schlimmste Phase der Eurokrise noch bevorstehe. Das Vertrauen in den Euro sinkt rapide: Mehr als die Hälfte der Deutschen (55 Prozent) wünscht sich die D-Mark zurück. Ganze 83 Prozent verlangen einen Euroausstieg Griechenlands, sollte das Land den Sparforderungen nicht nachkommen. Allerdings: 70 Prozent gehen davon aus, dass der Euro auch „in einigen Jahren“ existieren wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.06.2012)

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