Und täglich grüßt Santa Claus

taeglich gruesst Santa Claus
taeglich gruesst Santa Claus(c) REUTERS (TOBIAS SCHWARZ)
  • Drucken

Egal ob Winter oder Sommer, im Städtchen North Pole im US-Bundesstaat Alaska erscheint der Weihnachtsmann tagein, tagaus zum Dienst: Als Touristenmagnet und Fotoobjekt.

Gerassel und ein hollerndes „Ho-Ho-Ho!“ kündigen den Auftritt des Weihnachtsmanns an. Pünktlich auf die Minute erscheint er mit raumgreifenden Schritten durch die Hintertür des Santa Claus House in North Pole. Halb zehn Uhr vormittags ist Dienstantritt für Santa Claus in dem Städtchen in Alaska nahe Fairbanks, abends um halb sieben endet seine Schicht im Souvenirgeschäft, montags ist Ruhetag. Zumindest die Verkäuferinnen müssen sich vorkommen wie im Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“, wenn er tagein, tagaus in roter Arbeitskluft an ihnen vorbeistiefelt.

Beflissen nimmt der Hüne mit großväterlichem Habitus auf einem roten Samtthron Platz, umgeben von Schneekristallen und Plüschelchen, von Weihnachtskitsch und glitzerndem Talmi gibt er seine Weisheiten preis. Nur seinen echten Namen mag er nicht verraten, selbst nicht im Vertrauen. Er will nicht aus der Rolle fallen, schließlich ist sie ihm in mittlerweile 40 Jahren an den Leib gewachsen – stilgerecht mit echtem weißen Rauschebart und Kugelbauch. „Der Job ist für mich zur Berufung geworden“, brummt er. Ihm behagt der Part als Touristenmagnet und Fotoobjekt sichtlich.

Ob Winter oder Sommer: In North Pole hat Santa immer Saison – selbst im Hochsommer, der Hauptreisezeit der US-Touristen. „Es gibt hier in Alaska ja nur zwei Jahreszeiten“, scherzt Santa aufgekratzt, angesichts von 200 Schneetagen im Jahr: „Winter und die Baustellenzeit.“ Einzig Reisegruppen aus Japan, erzählt er, würden in größerer Menge der klirrenden Kälte der Vorweihnachtszeit trotzen, in der die Temperaturen mitunter auf minus 30 Grad fallen und sich die Einheimischen vornehmlich im Snowmobile fortbewegen.

Das Dorf im Herzen des 49. US-Bundesstaates, drei Autostunden südlich des Polarkreises, hat sich voll und ganz auf Weihnachtsrummel spezialisiert. Ursprünglich sollte der Ortsname (die 2300-Seelen-Gemeinde ist etwa 2700 Kilometer vom echten Nordpol entfernt) in den 1950er-Jahren eine Spielzeugfabrik anlocken. Das Projekt ging nicht auf, also verfielen findige Geschäftsleute auf die Idee, Ganzjahres-Weihnachten zu inszenieren und touristisch auszuschlachten. Motto: „Wo der Geist von Weihnachten das ganze Jahr über regiert.“


Kitsch und Natur. Aus allen Ecken der USA kommen die Besucher nach North Pole, doch längst hat der Ort als Heimat von Santa Claus über die US-Grenzen hinaus Bekanntheit erlangt. Die Konkurrenz im finnischen Lappland und in Russland empfindet der Santa aus der US-Tundra jovial als „Cousins“. In US-amerikanischer Manier vermählen sich in North Pole Kitsch und Natur, Geschäftssinn und Hang zur Romantik. Alles steht unter dem Stern des Fests um die Geburt Jesu.

Vor dem Santa Claus House mit den falschen Fachwerkbalken, verkehrstechnisch günstig direkt am Richardson Highway gelegen, weisen ein aufgeblasener Riesen-Santa, ein Iglu, ein Schlitten und eine Rentierherde als Holzattrappe auf die einzige Attraktion des Ortes hin. Auf einer Koppel weiden sogar echte Rentiere. Die Straßen tragen Namen wie Santa Claus Lane oder Mistletoe Lane, um die weißen Straßenlaternen winden sich rote Girlanden. Tauben künden auf Schildern vom „Frieden auf Erden“. Fehlen nur noch die Grizzlys, doch die passen nicht so recht ins Bild. Sogar die Fast-Food-Läden haben sich ein wenig aufgeputzt, verlassen lehnt ein winziger Christbaum in der Ecke des McDonald's.


Briefe an Santa. Im Santa Claus House zählt eine Digitaluhr den Countdown bis Weihnachten herunter, die Wand am Gang zum WC ist mit Briefen an Santa tapeziert. „Ich möchte von ganzem Herzen ein Kätzchen und einen Hamster haben“, wünscht sich etwa Kerry in krakeliger Kinderschrift. Ein anderes Schreiben schlägt einen ernsteren Ton an: „Ich möchte, dass mein Daddy nach Hause kommt.“

Das Postamt von North Pole soll die Existenz des Weihnachtsmanns beglaubigen, der begehrte Stempel mit der Postleitzahl 99705 den Beweis liefern. Shelby plagen einstweilen keine Zweifel. Der Sechsjährige hockt auf Santas Schoß, sein jüngerer Bruder beobachtet alles verdutzt, während Oma Chivers die Szene mit der Videokamera festhält – samt einer Botschaft Santas an die Daheimgebliebenen. Nolin Chivers, ein „Cajun“ – ein Nachfahre französischer Siedler – aus den sumpfigen Bayous des heißen Louisianas, ist mit seiner Familie dafür eigens quer über den Kontinent geflogen. „Damit meine Enkel sagen können, sie haben den Santa gesehen.“ Und damit er sich vor seinen Freunden brüsten kann, wie der Vietnam-Veteran offen eingesteht.

Joy Cordeiro, eine kalifornische Pensionistin, und ihre zwei Reisegefährtinnen machen sich dagegen nichts aus dem sommerlichen Weihnachtstrubel und dem eher dezenten X-mas-Sound, der sich wie ein Klangteppich über die verwinkelten, vollgestopften Räume legt. „In dem Augenblick, in dem ich durch die Tür getreten bin, wollte ich bereits wieder kehrtmachen“, sagt sie unumwunden. „Aber unsere Reisegruppe hat hier einen Zwischenstopp eingelegt.“

Genervt schiebt eine Touristin aus Tennessee im knödeligen Südstaatenakzent hinterher: „O mein Gott, das ist hier ja alles aus China.“ Währenddessen holt sich Santa Claus seinen ersten Kaffee. Er muss sich für den Nachmittag in Schwung bringen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.12.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.