In Berlin soll das Gaslicht ausgehen

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Nirgendwo stehen noch so viele Gaslaternen wie in Berlin. Das soll sich jetzt ändern, aus ökonomischen und ökologischen Gründen. Der Senat plant die Umstellung auf Elektrizität. Doch viele Bewohner sind dagegen.

„Denn das Licht der Gaslaternen lässt uns schwindeln, und warm sind die Nächte in Berlin. Wir taumeln durch die Straßen so als wären wir – jung und schön.“ (Element of Crime: „Jung und schön“)

Berlin ist nicht nur die Hauptstadt Deutschlands, sondern auch die Welthochburg der öffentlichen Gaslaternen: Mehr als die Hälfte aller noch existierenden Gaslaternen stehen hier, bis vor Kurzem waren das ungefähr 43.500 Stück. Doch deren Tage (oder besser Nächte) sind gezählt. Der Senat plant nämlich die Umstellung auf Elektrizität.

Bereits im Juni 2012 wurden in einem ersten Schritt 8500 aus der Nachkriegszeit stammende „Gasreihenleuchten“ durch elektrische Lampen vom Modell „Jessica“ ersetzt. Die Behörde begründet die Notwendigkeit des Austauschs sowohl ökonomisch als auch ökologisch: Der Energieverbrauch würde von 48,7 auf 1,4 Gigawattstunden reduziert, die Wartungskosten pro Leuchte von 550 auf 50 Euro und die CO2-Emissionen um 9200 Tonnen pro Jahr. 2016 sollen die Arbeiten beendet sein.

Nicht alle Berliner begrüßen allerdings diese Umstellung. Angeführt von den Vereinen „Gaslicht-Kultur“ und „Denk mal an Berlin“ kommen Gegner zu ganz anderen Ergebnissen als der Berliner Senat. Die CO2-Ersparnis sei mit 0,04 Prozent des Berliner Gesamtausstoßes verschwindend gering. Die Mehrkosten gegenüber Strom würden bei Gaslicht im Schnitt nur 190 Euro pro Leuchte und Jahr betragen; eine Amortisation der Umrüstungskosten sei, ohne Zinszahlungen, nicht wie vom Senat behauptet in neun, sondern erst in 17 oder 18 Jahren möglich. Dann sei aber auch die Lebensdauer der Elektroleuchtköpfe nahezu abgelaufen.

Wohnlichere Straßen

Doch im Gegensatz zum Senat argumentiert der Verein nicht in erster Linie ökonomisch, sondern kulturell. Das Gaslicht sei von warmem Gelb, trage zur Wohnlichkeit der Straßen bei und sei ein einzigartiges Kulturgut, das das Gesicht der Stadt präge und zu ihrer touristischen Attraktivität beitrage.

Die ersten Berliner Gaslaternen gab es bereits 1826; die heute noch existierenden Laternen – 2000 Modellleuchten, 3000 Hängeleuchten, 30.000 Aufsatzleuchten und die besagten Reihenleuchten – datieren aus der Zeit zwischen dem Ende des 19. Jahrhunderts und den Nachkriegsjahren. Nach dem Krieg wurde die durch den Krieg zerstörte oder beschädigte Gasbeleuchtung wieder in Betrieb genommen. In den 1960er-Jahren begann der Austausch der Gasleuchten durch elektrische sowohl in Ost- als auch in Westberlin. Während dieser im Osten durch die Probleme der Mangelwirtschaft gebremst wurde, gab es im Westen immer wieder Kampagnen für den Erhalt der Gaslaternen. 1989 beauftragte das Abgeordnetenhaus den Senat sogar, die Gasbeleuchtung zu erhalten.

20.000 für „Abrissmoratorium“

2007 beschloss der Senat allerdings die Abschaffung der Gasreihenleuchten wegen ihrer besonders hohen Betriebskosten. Der Beginn der Bauarbeiten ruft nun wieder viele Berliner auf den Plan. Mehr als 20.000 Menschen unterzeichneten eine Petition an den Berliner Bürgermeister; der Schauspieler und Moderator Ilja Richter veranstaltet eine Benefizgala „Rettet die Gaslaternen!“. Und im November demonstrierte eine Menschenkette in der Nähe des Amtsgerichts Charlottenburg. Dazu kamen diverse kleinere Aktivitäten.

Vereine wie „Gaslicht-Kultur“ wollen allerdings nicht jede einzelne Gaslaterne retten, sondern ein Abrissmoratorium und einen „Zukunftsplan Gaslicht“ durchsetzen – ein Konzept zur behutsamen Stadterneuerung, das den Erhalt der Gasbeleuchtung zumindest teilweise garantiert.

Die Auseinandersetzungen um das Gaslicht haben eine erhebliche Resonanz in den Medien gefunden, die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt reagiert prompt auf den Druck der Öffentlichkeit. In einem Pilotprojekt in der Falckensteinstraße in Berlin-Kreuzberg wurden fünf Aufsatzleuchten mit Leuchtdioden (LED) umgerüstet. Zum Vergleich stehen gegenüber fünf mit Gas betriebene Exemplare. Ein neu entwickeltes, sehr schmales Anschlussmodul ermöglicht den Erhalt der historischen Bündelpfeilermasten. Unterschiede im Licht seien so gut wie keine festzustellen, meinen Befürworter. In Neukölln sollen 700 Aufsatzleuchten auf LED umgerüstet werden.

Gaslaternen als Weltkulturerbe?

2013 wird sich das Berliner Abgeordnetenhaus voraussichtlich mit dem Schicksal der Aufsatz-, Hänge- und Modellleuchten befassen. Anders als bei den optisch weniger attraktiven Reihenleuchten könnte sich eine breite Mehrheit für den Erhalt dieser Laternenformen finden – mit welcher Technik muss noch verhandelt werden. „Gaslicht-Kultur“ bemüht sich derzeit jedenfalls um die Anerkennung ausgewählter Gaslaternen-Ensembles als Weltkulturerbe.

Auf einen Blick

In Berlin gewinnt der Streit um die historischen Gaslaternen an Brisanz. Die Stadtregierung will sie aus ökonomischen und ökologischen Gründen ersetzen, viele Bürger bezweifeln die offiziellen Berechnungen und wollen auf das „wohnliche Licht“ der Gaslaternen nicht verzichten. 2013 soll die Entscheidung fallen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.12.2012)

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