„Stücke aus seinem warmen Fleisch“

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Nach der Entdeckung von Pferdefleisch in Fertiggerichten sprechen manche von einem „widerlichen“ Fund. Woher kommt dieser Ekel? Wieso isst man in Wien gern Pferdeleberkäse?

Selbst unter eingefleischten Kannibalen gilt häufig die Regel: Freunde isst man nicht! Vielleicht wirkt auch deshalb die Passage in Jonathan Safran Foers Sachbuch „Eating Animals“ (2009), in der er ein geschmackvolles Rezept mit Hundefleisch vorstellt, für viele Leser ungenießbar: „Hundeeintopf Hochzeitsart“ wird auf den Philippinen gern serviert. Man schlachtet ein mittelgroßes Tier, brennt sein Fell ab, häutet den Hund vorsichtig – schon stellt sich beim durchschnittlichen Europäer ein Gefühl des Ekels ein. Das liegt in der Absicht des New Yorker Autors, der mit seiner Streitschrift gegen die Massentierhaltung protestiert hat.

Der Hund ist nämlich bei uns seit zehntausenden Jahren der beste Jagdfreund des Menschen. In Gegenden, die diese Entwicklung nicht mitgemacht haben, werden solche Raubtiere zuweilen ohne Umstände verzehrt, aber dort, wo Hunde oder Katzen praktisch zur Familie gehören, wo sie keine Nutztiere an sich sind, ist ihre Verwurstung verpönt. Wo also zieht man die Grenze? Bei der echten Salami aus Italien, die ursprünglich Eselsfleisch enthielt? Oder ist sie für uns nur genießbar, wenn sie aus Rind oder Schwein fabriziert wird? (Warum isst man eigentlich Schweine? Sie sind intelligente Allesfresser, uns Menschen also ähnlicher als die meisten Tiere.) Beim Pferd aber, diesem edlen Nutztier, scheidet sich der Geschmack. Viele Franzosen essen sie, die Spanier eher nicht, und in Wien, das sich mit der spanischen Hofreitschule und ihren Lipizzanern brüstet, gibt es dennoch eine Schwäche für gut gemachten Pferdeleberkäse.

Wienerisch, aber nicht sehr katholisch

An die 20 Rossfleischereien gibt es noch in Österreich. Die Lust am Fleisch hat hier ganz offensichtlich über katholische Vorbehalte gesiegt. Denn Päpste haben den Verzehr von Pferdefleisch immer wieder verboten, als „unrein und verabscheuungswürdig“ galt das schon für den frühmittelalterlichen Gregor III. Warum genau, steht allerdings nicht sicher fest. Die Germanen, die damals gerade christianisiert wurden, aßen dieses Fleisch im Zuge religiöser Rituale. War dieses Lebensmittel dem Papst deswegen verpönt? Oder sollten Pferde nicht verkocht werden, weil es an Streitrössern fehlte?

Das war jedenfalls sicher der Grund, warum ein Erzbischof von Canterbury im Mittelalter seinen Landsleuten das Pferdefleisch verbot – er wollte die königliche Kavallerie aufstocken. Heute wollen die Briten gern vergessen, dass es Zeiten gab, in denen man auf der Insel ganz selbstverständlich Pferdefleisch speiste. Sie behaupten, dass diese „rohe“ Sitte ihnen schon immer fremd war. Dabei war Pferdefleisch auf der Insel bis in die Zwischenkriegszeit beliebt.

Die Abkehr von dieser Sitte hat weniger damit zu tun, dass den Menschen die Pferde nicht mehr geschmeckt oder sie mehr Mitleid mit ihnen gehabt hätten, es war einfach nicht mehr „chic“, sie zu essen. Pferdefleisch war billig und für die Armen zu haben, sein Verzehr wurde in England zum sozialen Stigma. Woraus man folgern könnte, dass die Lust der Wiener am Pferdefleisch auch ein Zeichen stolzen Proletariertums ist. Ein Schuss Frankophobie spielt bei den Briten wohl auch eine Rolle, denn mit diesem Tabu konnte man sich auch gut von den „barbarischen“ Nachbarn distanzieren. In Frankreich führen die Supermärkte ja bis heute ganz selbstverständlich Pferdefleisch.

Pferde geben Fleisch und Milch

Seit es Pferde gibt, isst der Mensch sie. Bis heute werden sie in den Steppen Kasachstans sowohl des Fleisches als auch der Milch wegen gehalten, und diese Tradition geht bis in die Urgeschichte ihrer Haltung zurück, die ebenfalls unter anderem nach Kasachstan führt. Knochenfunde dort belegen den Pferdeverzehr, ebenso wie die Höhlenmalereien im südfranzösischen Lascaux; sie zeigen Pferde als Beutetiere.

Doch wir freunden uns dennoch lieber und leichter mit Pferden als mit Schweinen an. Abgesehen davon gibt es keine „natürlichen“ Gründe gegen den Pferdefleischkonsum, die nicht auch für etliche andere Tiere gelten würden. Dass der Verzehr von Pferden (immer wieder) verboten wurde und verpönt war, hatte und hat vor allem praktische, kulturelle und soziale Gründe.

Franz Kafka hat in einer Erzählung das Pferdefleisch-Tabu ins Paradox gewandt: Ein Schuster, der seinen Laden vor dem kaiserlichen Palast hat, berichtet in „Ein altes Blatt“ vom Eindringen der Nomaden in die Stadt, von wilden Reitern, die aus dem „immer ängstlich rein gehaltenen Platz“ einen wahren Stall gemacht haben. Sie sind kaum einer Sprache mächtig, wie Schreie von Dohlen klingt es. Sie sind roh, ihre Lebensweise ist dem Erzähler unbegreiflich. Am meisten hat der Fleischhauer unter ihnen zu leiden. Die Nomaden entreißen ihm all seine Ware: „Auch ihre Pferde fressen Fleisch; oft liegt ein Reiter neben seinem Pferd, und beide nähren sich vom gleichen Fleischstück, jeder an seinem Ende.“

Kafka war Vegetarier, in diesem Text drückt ein Hungerkünstler all seinen Ekel vor karnivoren Sitten aus. Für den Schuster ist das Gebrüll eines Ochsen kaum auszuhalten, den die Nomaden bei lebendigem Leib fressen. Von allen Seiten springen sie das Tier an, „um mit den Zähnen Stücke aus seinem warmen Fleisch zu reißen“. Am Ende liegen die Fleischfresser „müde um die Reste des Ochsen“, wie Trinker um ein Weinfass. Wer nach diesem Text sogleich Lust auf warmen Leberkäse hat, muss wohl ein wilder Nomade sein.

Religiöse Speiseverbote

Pferde sind im Judentum laut Thora (3.Buch Mose 11) wie die meisten Landtiere (z.B. Hasen, Hunde, Katzen) nicht koscher, weil sie nicht – wie Rinder oder Schafe – gespaltene Hufe haben und Wiederkäuer sind. Schweine sind nicht koscher, weil sie nicht wiederkäuen. Im Islam gelten Pferde als nicht halal, weil sie Nutztiere sind. Papst Gregor III. erließ 732 ein Pferdefleischverbot. Doch bei der Christianisierung der Isländer (1000 n.Chr.) wurde diesen ausdrücklich Pferdefleisch erlaubt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.02.2013)

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