Zeuge: "Pistorius hat Gott angefleht, sie möge nicht sterben"

Pistorius bleibt dabei: Er habe seine Freundin Reeva Steenkamp mit einem Einbrecher verwechselt.
Pistorius bleibt dabei: Er habe seine Freundin Reeva Steenkamp mit einem Einbrecher verwechselt.(c) REUTERS (� POOL New / Reuters)
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Vierter Tag im Pistorius-Prozess. Der erste Augenzeuge am Tatort berichtet von dramatischen Minuten der Tatnacht: Pistorius soll über Reeva Steenkamps Leiche gebeugt laut gebetet haben.

Im Prozess gegen den südafrikanischen Sprintstar Oscar Pistorius widersprechen sich die Aussagen von Nachbarn über die Abfolge von Wahrnehmungen in der Todesnacht von Reeva Steenkamp. Nach den Aussagen eines benachbarten Ehepaars und einer weiteren Nachbarin, wonach sie erst Schreie und dann Schüsse gehört hätten, berichtete ein Zeuge am Donnerstag, er habe erst Schüsse und danach Schreie gehört.

Pistorius: Tränen, Ohren zugehalten

Er sei von drei Schüssen, "gefolgt von den Schreien einer Frau", geweckt worden, sagte Johann Stipp dem Gericht in Pretoria. Der Radiologe traf nach eigenen Angaben wenige Minuten nach den Wachleuten beim Haus von Pistorius ein, um ärztliche Hilfe zu leisten. Dessen Freundin Reeva Steenkamp habe noch gelebt, aber bereits mit dem Tod gerungen, berichtete Stipp. "Das Erste, was Oscar sagte, war: 'Ich habe auf sie geschossen. Ich dachte, sie wäre ein Einbrecher, und ich habe auf sie geschossen.'" Ohne seine Beinprothesen habe der Angeklagte über der leblosen, blutenden Reeva Steenkamp gestanden und geweint.

Der Ausnahme-Athlet brach bei der detaillierten Schilderung von Steenkamps Zustand in Tränen aus und hielt sich die Ohren zu. Es war die erste Zeugenaussage zu den Vorgängen in Pistorius' Haus seit Prozessbeginn am Montag. Dem Radiologen zufolge wirkte Pistorius in der Nacht so schwer mitgenommen, dass er Angst hatte, der Sportler könnte sich etwas antun.

Zuerst Schreie, dann Schüsse

Pistorius hatte seine Freundin vor einem Jahr in der Nacht auf den Valentinstag durch die geschlossene Badezimmertür seines Hauses erschossen. Er beteuert, das 29-jährige Model für einen Einbrecher gehalten zu haben. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm dagegen vor, Steenkamp nach einem Streit vorsätzlich getötet zu haben. Ihre These wurde in den vergangenen Tagen von den Aussagen eines benachbarten Paares untermauert, das in der Tatnacht erst die verängstigten Schreie einer Frau und dann Schüsse gehört haben will.

Der Ehemann Charl Johnson blieb auch am Donnerstag trotz der aggressiven Befragung von Verteidiger Barry Roux bei dieser Version. Zuvor hatte sich der Anwalt bei Johnson für die Veröffentlichung seiner Telefonnummer entschuldigt. Als er die Nummer vor Gericht laut vorgelesen habe, sei er sich über die Konsequenzen nicht bewusst gewesen, sagte Roux. Johnson hatte am Mittwoch berichtet, unmittelbar vor seiner Aussage sei er von anonymen Anrufern bedroht worden.

Weiterer Waffen-Vorfall

Als vierter Zeuge der Anklage berichtete der Profi-Boxer Kevin Lerena über einen Vorfall in einem Restaurant, wo Pistorius mit einer Pistole unter dem Tisch geschossen hatte und danach einen Freund bat, dafür die Verantwortung zu übernehmen. "Sag einfach, Du warst es, ich will keine Spannungen in meinem Umfeld", habe Pistorius zu Darren Fresco nach dem Schuss gesagt, so der Zeuge über das gemeinsame Mittagessen im Kreise einiger Freunde in dem Johannesburger Lokal im Jänner 2013.

Der Schuss habe seinen Fuß nur um ein Haar verfehlt. "Ich schaute hinunter und neben meinem Fuß war ein Loch im Fußboden. Ich war nicht verletzt, (...) Ich war sehr schockiert", sagte Lerena. Pistorius habe sich für den Schuss entschuldigt. Die Anklage will mit dem Zeugen offensichtlich nachweisen, dass Pistorius einen unvorsichtigen und rücksichtslosen Umgang mit Waffen pflegte.

Wette über Prozess zurückgenommen

Unterdessen verdonnerte die britische Werbeaufsicht das Wettbüro Paddy Power zur Rücknahme einer Wette zum Ausgang des Prozesses. Die Behörde erklärte am Mittwoch, sie habe über 5.200 Beschwerden bekommen, nachdem Paddy Power die Tage zuvor unter dem Motto "Geld zurück, wenn er freikommt" für die Wette geworben hatte.

Das irische Wettbüro hatte in der irischen und britischen Presse pünktlich zum Prozessbeginn in Pretoria sowie zur Oscar-Verleihung in den USA mit der Aktion geworben. "Es ist Oscar-Zeit. Geld zurück, wenn er freikommt", stand in der Anzeige, die eine Oscar-Statue mit dem Kopf von Pistorius zeigt. Im Internet unterzeichneten bis Mittwochabend mehr als 120.000 Menschen eine Petition gegen die Wette.

107 Zeugen werden befragt

Der Prozess ist vom Gericht auf 15 Verhandlungstage angesetzt. Da die Staatsanwaltschaft allein 107 Zeugen benannt hat, wird mit einem deutlich längeren Prozess gerechnet. Erstmals in der Geschichte Südafrikas wird ein Mordprozess in weiten Teilen live vom Fernsehen übertragen. 300 Journalisten aus dem In- und Ausland verfolgen die Verhandlung.

(APA/dpa)

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