Entsetzen über sexuelle Übergriffe bei Musikfestivals

Verdorbene Partystimmung: Angst vor Übergriffen hat vielen jungen Frauen die Freude an den jährlichen Festivals genommen.
Verdorbene Partystimmung: Angst vor Übergriffen hat vielen jungen Frauen die Freude an den jährlichen Festivals genommen.Imago
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In Schweden sind Dutzende Mädchen Opfer von Belästigungen und versuchten Vergewaltigungen geworden. Die Polizei verdächtigt auch junge Flüchtlinge.

Stockholm. Die schwedische Regierung ist alarmiert: Fast täglich werden sexuelle Übergriffe und Vergewaltigungen bei den im Sommer laufenden Musikfestivals des Landes gemeldet. Die Opfer sind meist junge Mädchen zwischen 14 und 18 Jahren. Die Täter sollen überwiegend junge Flüchtlinge sein.

Probleme bestehen seit Monaten: Wie in Köln ist es auch in Schweden in der Silvesternacht zu sexuellen Massenübergriffen durch junge Flüchtlinge gekommen. Ähnliche Übergriffe bei einem Jugendfestival 2015 verschwieg die Stockholmer Polizei, um Ausländerhass zu vermeiden. Nun aber setzt langsam eine Debatte über die Angriffe ein.

Dutzende Vorfälle

Tatsächlich sind die Vorfälle alarmierend: Allein beim populären Bravalla-Festival der Stadt Norrköping wurden am Wochenende fünf mutmaßliche Vergewaltigungen und zahlreiche weitere Übergriffe angezeigt. Das zweitägige Festival „Putte i Parken“ in Karlstad sorgte ebenfalls für Aufsehen: Trotz Erhöhung der Polizeipräsenz und der ausgeteilten Anti-Grapsch-Armbändchen, die den solidarischen Widerstand der Festivalbesucher gegen sexuelle Übergriffe symbolisieren sollten, kam es insgesamt zu 35 registrierten sexuellen Übergriffen. Die Dunkelziffer ist ungewiss.

„Erst schubsten sie uns an die Bühne. Als wir uns wehren wollten, drohten sie“, sagt die 17-jährige Festivalbesucherin Alexandra Larsson. „Dann nahm sich einer die Frechheit, mir an den Po zu fassen. Ich drehte mich um, um mich zu wehren, aber ich wusste nicht, wer von ihnen es war. Nach einer Weile fühlte ich, wie mir jemand seinen Finger zwischen die Beine nach oben drückt. Glücklicherweise hatte ich Jeans an“, sagt sie der „Göteborgs-Posten“.

Als es dann wieder geschah, verließ sie das Konzert. „Das war krank! Wir kamen zum Festival, um Spaß zu haben, aber konnten nur 20 Minuten bleiben“, sagt sie. Von anderen Festivalbesuchern war offenbar keine Hilfe zu erwarten: Sie schauten einfach weg, statt den Mädchen zu helfen.

Rassismusvorwürfe

Nach Kritik an der Stockholmer Polizei, weil diese im vergangenen Sommer 38 registrierte Fälle von sexueller Belästigung, darunter zwei versuchte Vergewaltigungen, beim Jugendfestival „We are Stockholm“ aus politischer Korrektheit verschwiegen hatte, entschied sich die Polizei der Region Värmland, nun alles offenzulegen.

Auch schrieb sie in ihren Bericht, dass es sich bei den Tätern eindeutig um Cliquen von sieben bis acht minderjährigen Jungs handelte, die „zur Gruppe“ der elternlos nach Schweden gekommenen Flüchtlingskinder gehörten. Nach Kritik an der Benennung der Tätergruppe nahm die Polizei diese Passage wieder aus dem Bericht. Man warf ihr Rassismus vor. Einige der Täter wurden festgenommen, mussten aber nach kurzer Zeit wieder freigelassen werden. Zur Begründung teilte die Polizei mit, die Verdächtigen seien minderjährig, und die Beweislage sei schwierig.

Inwieweit auch die Vergewaltigungen auf beiden Festivals durch junge Flüchtlinge begangen wurden, ist allerdings fraglich. Anscheinend handelte es sich in mehreren Fällen um schwedische Männer, die den Mädchen teils bekannt waren.

Der bei diesen Veranstaltungen reichlich konsumierte Alkohol trägt jedes Jahr zu Zwischenfällen bei, die auch von Schweden begangen werden. Zudem werden heute deutlich mehr Zwischenfälle angezeigt als noch vor einigen Jahren, weil die Hemmschwelle dazu gesunken ist.

Kameraüberwachung?

Die Chefin der bürgerlichen Zentrumspartei, Annie Löf, bezeichnete die Vorfälle als „unakzeptabel“. Gleichzeitig sagte sie: „Aber ich und alle Frauen wissen, dass es schon immer hart war, als Mädchen etwa in einem Nachtclub zu sein oder in einer anderen Umgebung mit vielen Menschen, wo sich Männer Freiheiten nehmen und Grenzen überschreiten.“

Nun wird diskutiert, ob es flächendeckende Kameraüberwachung auf Festivals geben sollte. Das passe nicht zum freiheitlichen Musikfestival-Geist, kritisieren dagegen Überwachungsgegner.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.07.2016)

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