Russland: Kirche übernimmt Isaaks-Kathedrale

Protest: „Du sollst nicht stehlen“.
Protest: „Du sollst nicht stehlen“.(c) imago/ITAR-TASS
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Der Gouverneur von St. Petersburg bewilligte eine Rückgabe des derzeit als Museum genutzten Gebäudes an die russisch-orthodoxe Kirche. In der Bürgerschaft regt sich Protest.

Wien/St. Petersburg. Neben dem Winterpalast und den Kanälen ist die Isaaks-Kathedrale die wohl bekannteste Sehenswürdigkeit in Russlands nördlicher Metropole. Ihre begehbare vergoldete Kuppel ermöglicht bei gutem Wetter eine hervorragende Aussicht auf das Zentrum Sankt Petersburgs. In ihrem prächtig dekorierten Inneren stellt eine Ausstellung die wechselvolle Geschichte des Bauwerks dar, das mehr als 10.000 Menschen Platz bietet und dessen Errichtung 40 Jahre in Anspruch nahm. Im Vorjahr wurde der Sakralbau, für dessen Besichtigung man wie im Museum Eintritt bezahlen muss, von mehr als 2,3 Millionen Menschen besucht.

Doch nun fürchten Touristiker und Bewohner von St. Petersburg, dass das 1858 fertiggestellte Bauwerk nicht mehr in der Weise zugänglich bleibt wie bisher. Grund dafür ist die geplante Übergabe der Kathedrale an die russisch-orthodoxe Kirche. Vor einigen Tagen versammelten sich mehrere Hundert St. Petersburger, um gegen den Plan zu demonstrieren. Auf der nicht angemeldeten Kundgebung hielten sie Schilder mit Aufschriften wie „Beamte! Genug der hirnlosen Entscheidungen“ und „Du sollst nicht stehlen“. „Ich bin dagegen, dass die Isaaks-Kathedrale einfach diesen Gegnern der Aufklärung überlassen wird“, sagte ein Teilnehmer gegenüber der Austria Presse Agentur. Auf einer Internetplattform unterzeichneten bisher knapp 190.000 Menschen einen Protestaufruf. In der nächsten Woche soll eine weitere Demonstration folgen.

Mehr Touristen als Gläubige

Nach der Entscheidung des Gouverneurs von St. Petersburg, Georgij Poltawtschenko, befürchten Kritiker, dass sich die mächtige Kirche das Gebäude gänzlich einverleibt – und das obwohl der Sakralbau viel mehr Besucher als Gläubige anzieht.

Zwar haben Kirchenvertreter in Aussicht gestellt, dass eine Besichtigung – sogar bei freiem Eintritt – weiter möglich sein soll. Dennoch befürchtet man, dass die Bandbreite der Exkursionen schmäler wird. Weiters soll die Ausstellung abgesiedelt werden. Derzeit gibt sie Auskunft über die aufwendige Errichtung des Bauwerks, bei der zahlreiche Arbeiter starben, sowie seiner Verwendung als Museum für Religion und Atheismus in der Sowjetzeit samt Foucault'schem Pendel.

Aus der Sowjetzeit rührt auch der Status der Kirche als Museum. Die orthodoxe Kirche bemüht sich seit mehreren Jahren um die Rückgewinnung der Kathedrale; im Dezember 2016 habe sich Patriarch Kirill erneut an Gouverneur Poltawtschenko gewendet, berichtete das unabhängige St. Petersburger Onlineportal fontanka.ru. Der stimmte zu. Zuvor waren bereits andere Museumskirchen in St. Petersburg in das Eigentum der Kirche übergegangen. Gottesdienste gab es in der Isaaks-Kathedrale aber auch bisher.

Gratisvermietung an die Kirche

Bedenken gibt es noch in finanzieller Hinsicht. Von den Museumseinnahmen werden die Löhne der Mitarbeiter und die Restaurierungsarbeiten am Gebäude bezahlt. Laut einem Fontanka-Bericht soll die Stadtregierung weiterhin für die Renovierung aufkommen. Da die Isaaks-Kathedrale zum Weltkulturerbe der Unesco zählt, muss der Staat weiterhin formal Eigentümer bleiben. Die Kathedrale soll gratis an die Kirche vermietet werden.

Die russisch-orthodoxe Kirche hat in den vergangenen Jahren unter der Präsidentschaft von Wladimir Putin ihren gesellschaftlichen Einfluss dramatisch ausgebaut. Die Verquickung von Staat und Kirche hat zu einer Propagierung von als traditionell russisch definierten Werten geführt – und außerdem zu dubiosen Immobiliengeschäften.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.01.2017)

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