Istanbul: Topkapi-Palast rutscht ins Meer

Der Topkapi-Palast ist die zweitbeliebteste Touristenattraktion der Türkei nach der Hagia Sophia.
Der Topkapi-Palast ist die zweitbeliebteste Touristenattraktion der Türkei nach der Hagia Sophia. (c) imago/ZUMA Press
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Der Bau zweier Bosporus-Tunnel könnte das osmanische Erbe ins Wanken gebracht haben. Die Erschütterungen durch die Bauarbeiten haben das Fundament des Palasts destabilisiert.

Istanbul. Die Gäste im Teegarten neben dem Topkapi-Palast genossen eine der schönsten Aussichten der Welt, als im Vorjahr auf einmal die Erde unter ihnen wegbrach und sie in den Abgrund riss. Zwei Menschen starben unter den Trümmern der Stützmauer, die den alten Palastgarten über dem Bosporus 150 Jahre lang getragen und nun nachgegeben hatte. Im Palast selbst entdeckten Experten wenig später Risse in den Kuppeln eines Pavillons; kurz darauf brach über Nacht ein zwei Meter tiefer Graben im Innenhof auf.

Mit einer Bodenuntersuchung, wie sie Experten schon seit dem Erdbeben von 1999 fordern, gehen die Behörden in Istanbul nun den Ursachen nach. Wie bereits durchsickerte, ist der osmanische Sultanspalast zumindest teilweise durch den Bau von zwei Tunneln, die der Stolz der türkischen Regierung sind, unter dem Bosporus ins Wanken gebracht worden.

Zweitbeliebteste Attraktion

Der Topkapi-Palast, der mit seinen Kuppeln und Türmchen, verschachtelten Innenhöfen und Pavillons und vor allem mit seinem Harem die Fantasie der Besucher beflügelt, ist ein Wahrzeichen Istanbuls. Mehr als drei Millionen Touristen aus aller Welt besichtigen jährlich den 600 Jahre alten Sultanspalast; nach der Hagia Sophia ist er die beliebteste Touristenattraktion in der Türkei. Kostbare Schätze und heilige Reliquien werden in seinen Mauern aufbewahrt und ausgestellt, darunter ein Haar aus dem Bart des Propheten Mohammed sowie sein Schwert und ein Wanderstab von Moses.

Doch die ganze Pracht rutsche langsam ins Marmarameer hinein, warnen Forscher nach einem Bericht der Zeitung „Hürriyet“. So stellte sich nach dem Absturz des Teegartens im Gülhane-Park neben dem Palast heraus, dass schon im Vorjahr eine Mauer in dem Restaurant eingestürzt war, das sich innerhalb der Palastmauern auf dem Museumsgelände befindet und wegen seiner spektakulären Aussicht auf Bosporus, Marmarameer und das asiatische Ufer gern als Kulisse für besondere Anlässe herangezogen wird. Und schon vor einigen Jahren fiel ein Wächter beim nächtlichen Rundgang in einen Graben, der sich im zweiten Innenhof plötzlich unter ihm auftat. Tiefe Risse entdeckten Arbeiter im Herbst in den Kuppeln und Wänden des Fatih-Pavillons, der daraufhin für den Besucherverkehr gesperrt wurde.

Verursacht werden die Schäden nach Ansicht der Experten durch Bewegungen im Untergrund der historisch bedeutenden Halbinsel, die wiederum mehrere Ursachen haben. So ist der Boden unter dem Palast offenbar aufgeweicht wie ein Pudding, weil das veraltete Entwässerungssystem überlastet und verstopft ist. Die 25 Meter hohen Stützmauern, die Topkapi in luftiger Höhe über dem Ufer halten, sind nur aus Schutt aufgeschichtet und werden stetig von Pinienwurzeln auseinandergetrieben. Obendrein belastet wird das Gelände durch das Gewicht des Betons, mit dem Kuppeln und Mauern in den 1940er- bis 1960er-Jahren verstärkt wurden. Dazu kommt die Gefahr von Erdbeben – die nordanatolische Verwerfungslinie verläuft nahe am Palast im Marmarameer vorbei.

Erdoğans Prestigeprojekte

Um die Bodenbewegungen zu messen, trieben Geologen im vergangenen Jahr 26 seismische Sonden in den Palasthügel hinein. Dabei stellte sich nach Bericht von „Hürriyet“ heraus, dass auch die beim Bau der beiden Tunnel unter dem Bosporus verursachten Erschütterungen den Palast destabilisiert haben dürften. Der Marmaray-Tunnel für den Schienenverkehr war nach mehrjähriger Bauzeit 2013 eröffnet worden, der Eurasien-Tunnel für den Autoverkehr im vergangenen Dezember.

Beide Tunnel zählen zu den großen Prestigeprojekten der türkischen Regierung, die Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan noch als Ministerpräsident eingeleitet hatte und schließlich auch persönlich eröffnete. Dass ausgerechnet sie das osmanische Erbe der Türkei zum Einsturz bringen könnten, ist eine Ironie, die in Ankara nicht gut ankommt. Kulturminister Nabi Avci dementierte die These sogleich. Dafür gebe es keinerlei wissenschaftliche Belege, sagte er und verwies den „Hürriyet“-Bericht ins Reich der „urbanen Legenden“. Der Untersuchungsbericht werde erst Ende Februar fertig, sagte er; entsprechend werde dann gehandelt.

Daran glaubt zumindest der führende Experte nicht, der emeritierte Professor Ilber Ortayli, der als langjähriger Direktor des Topkapi-Museums als Koryphäe anerkannt ist. Im Grunde müsste der ganze Palasthügel völlig saniert werden, sagte Ortayli in einem Interview schon im vergangenen Jahr. Doch dazu fehle einfach das Geld. Die Eisenbahnlinie und die Uferstraße, die unterhalb des Palasts an der Küste entlang verlaufen, müssten weg, sagte Ortayli. Stattdessen wird allerdings mit Hochdruck an einem Ausbau der Straße gearbeitet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.01.2017)

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