Von der Zeit des kollektiven Rauschzustands

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RIO DE JANEIRO RJ 25 02 2017 DESFILES DE CARNAVAL RIO DE JANEIRO 2017 Dani Mayorn during the f(c) imago/Fotoarena (imago stock&people)
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In vielen Ländern der Welt ist jenes Volksfest, das man je nach Tradition etwa Fasching, Karneval oder Fastnacht nennt, momentan am Siedepunkt. Die meist alkoholverstärkten Massenvöllereien verdanken ihre Existenz unter anderem just dem Christentum. Aber dafür wird danach ja gefastet. Ein Kulturüberblick.

Derzeit wird man in Österreich allerorts allerart seltsame Rufe hören: „Mö Mö“etwa in Mödling, „Ra Ra“ in Bad Radkersburg, und (das kennt man zwangsweise) „Lei Lei“ in Villach. In Dornbirn tönt's unverständlich „Maschgoro Maschgoro Rollolo, schiiß da Hafa decklat voll“*, und ja, sogar in Wien kann man, ab und zu, etwas hören: etwa „Mei Mei“ im schönen Meidling.

Es ist Fasching. Karneval, Fastnacht, schon seit 11. November, jetzt ist der Höhepunkt. Am Aschermittwoch ist die Phase meist vorbei, die Ethnologen als „exzessiven Konsum von Alkohol und Fleisch“ beschreiben, zu deren anderen Merkmalen etwa theatralische Kämpfe unter Einsatz von Lebensmitteln, politische Satire, Verspottung von Autoritäten und Behörden, groteskes Zurschaustellen von Körpern mit übertriebenen Merkmalen (etwa riesige Nasen und Penisse), beleidigende Sprache, Witzeln über Leiden und den Tod und eine Umkehr der alltäglichen Normen zählten.

Schon die Babylonier trieben's wild. Manche sehen Ahnen des Treibens, das nicht nur auf den Kärntner Weiler Fasching, Teil von Feldkirchen, beschränkt ist, in babylonischen Festen, im ägyptischen Isis-Fest und den römischen Saturnalien Mitte Dezember, wo es öffentliche Gelage und Umzüge gab, Sklaven und Herren Rollen tauschten, Blumen warfen. Sicher ist die Sache komplexer und hat vor allem mit einer Vermengung vorchristlicher Bräuche zum Winterende und dem Katholizismus zu tun. In einer belgischen Quelle steht, Februar und März sei früher die Zeit gewesen, da die Wintervorräte ausgehen bzw. schlecht werden und verzehrt werden müssen; da die Kirche über mehrere Stufen und abhängig vom ersten Frühlingsvollmond die 40-tägige Fastenzeit vor Ostern einführte, deren Start zwischen 4. Februar und 10. März ist, habe man es nochmal krachen lassen. Dabei startet man übrigens oft ab Dreikönig, 6. Jänner. Der 11. November taucht im 19. Jht. auf, da man ersann, dass es im Frühchristentum vor Weihnachten noch eine Fastenzeit gab.

Das Wort „Fasnaht“ wird nach heutigem Wissen erstmals 1206 im „Parzival“ von Wolfram von Eschenbach erwähnt und bezieht sich auf ein Fest im bayrischen Dollnstein. Für 1341 ist eine „Fastelovend“ in Köln dokumentiert, es geht um Zuschüsse zu Zechereien. Tatsächlich wurden diese Feste, „Mummenschanz“ gescholten, oft ungern gesehen, die Kirche schritt wiederholt ein.

Vom Bodensee bis Brasilien. Die Namensgebung Fasnacht/Fastnacht/Fasnat/Karneval/Fasching etc. ist ein komplexes Ding und geografisch verschieden. Bei Fastnacht geht es um die Feier der Nächte vor der Fastenzeit, beim Karneval um den Abschied vom oder das Wegnehmen des Fleischs (carne levare auf Italienisch). Fasching – so sagt man vor allem in Österreich (außer Vorarlberg) und Bayern – soll vom „Fastenschank“ herrühren, dem letzten Ausschank vor der Trockenzeit. Weltweit haben sich diese Bräuche vor allem, doch nicht exklusiv, auf Gebiete katholischen Hintergrunds verbreitet, etwa nach Lateinamerika und in die Karibik. In den USA bekannt ist Mardi Gras (fetter Dienstag) in New Orleans; Deutsche brachten das Fest nach Namibia, Portugiesen etwa nach Goa in Indien. Im orthodoxen Russland gibt es mit der Masleniza (Butterwoche) ein einwöchiges Fest zum Winterschluss.

Mancherorts, etwa in Basel und Ermatingen am Bodensee (Schweiz), beginnt die Fasnacht erst in (!) der Fastenzeit. In Hollabrunn (NÖ) indes tut sich fast nichts: 1679 gelobten die Bürger, Faschingssonntag bis -dienstag auszulassen, um die Pest abzuhalten. Aber gut: Der Fasching ist in Ostösterreich sowieso eher defensiv im Auftritt, Umzüge sind seltener als im Westen und Süden, es dominieren Kränzchen, Bälle und das Gschnas, also Kostümfest.

In Bregenz, bei den sparsamen Vorarlbergern, gibt es übrigens den Brauch der Geldbüttelwäsch: Da zieht man am Aschermittwoch zu einem Brunnen und wäscht die Geldbeutel, damit das Schicksal neues Geld in sie spüle. Die Teilnehmer jammern dabei laut. ?
*Eine derbe Aufforderung an die Maskierten, ihre Nachttöpfe möglichst bis obenhin vollzumachen.

LEXIKON

Das Wort „Fasnaht“ wird nach heutigem Wissen erstmals 1206 im „Parzival“ von Wolfram von Eschenbach erwähnt und bezieht sich auf ein Fest zum Winterende im bayrischen Ort Dollnstein nahe Ingolstadt, bei dem es ziemlich grotesk zugegangen sein soll.
Für 1341 ist eine „Fastelovend“ in Köln dokumentiert, es geht um Zuschüsse zu Zechereien. Tatsächlich wurden diese Feste, auch „Mummenschanz“ gescholten, oft ungern gesehen, die Kirche schritt wiederholt ein. Ähnliche Feste, die christliche und heidnische Motive verbanden, wird es freilich schon
in früheren
Jahrhunderten gegeben haben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.02.2017)

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