Die Gegner des neuen Präsidenten, Aleksandar Vučić, fühlen sich betrogen – und von der EU im Stich gelassen.
Belgrad. Kalt zerrt der Abendwind vor dem serbischen Parlament an Protestbannern und Plakaten. Parolen wie „Nieder mit der Diktatur“, „Vučić, Du bist nicht mein Präsident“ oder „Ich will leben“ prangen auf den Schildern der überwiegend jugendlichen Demonstranten. Er wolle einfach seine „Unzufriedenheit“ über den Verlauf der Präsidentenwahlen kundtun, erklärt der schlaksige Kunststudent Nikola, warum er seit dem Urnengang am Sonntag allabendlich mit Tausenden von Gleichgesinnten protestierend durch die Straßen Belgrads zieht.
Ob bei der Verbannung der Opposition von den TV-Schirmen, der „verfassungswidrigen“ Begrenzung des Stimmenstreits auf einen Monat, der Beurlaubung des lästigen Parlaments während des Wahlkampfs oder den gefälschten, mit toten Seelen aufgepeppten Wahllisten – die Wahlen seien „alles andere als regulär“ gewesen, ist er überzeugt: „Die Opposition hätte sie von Anfang an boykottieren müssen.“
„Serbien gegen die Diktatur“ nennt sich die per Facebook rasch ausbreitende Studentenbewegung, die zum Aufbegehren gegen Serbiens allgewaltigen Wahl-Triumphator Aleksandar Vučić ruft. Die von der Regierung kontrollierten TV-Sender schweigen die lästigen Proteste bisher weitgehend tot. Für das Revolverblatt „Informer“, das Vučiś' Fortschrittspartei (SNS) nahesteht, und andere Regierungszeitungen sind derweil die Opposition oder der US-Milliardär George Soros die Drahtzieher der „von ausländischen Geheimdiensten instruierten“ Demos.
Tatsächlich scheint indes die zerstrittene Opposition von dem Nachwahlaufstand ihrer jungen Landsleute beinahe ebenso überrumpelt wie das Regierungslager. Die Proteste hätten am Wahlabend in Belgrad „völlig spontan, mit 50 Leuten begonnen“, nun werde bereits in 17 Städten des Landes demonstriert, berichtet Nikola: „Es geht uns nicht um den Sturz von Herrn Vučić, sondern um den Ausdruck einer Haltung, die in Serbien viele teilen: Wir wollen zeigen, dass wir nicht einverstanden sind, wie hier die Dinge laufen – und dass es uns gibt.“
Ein ohrenbetäubendes Trillerpfeifen-Konzert erschallt, als der Demonstrationszug über den König-Alexander-Boulevard zieht. „Wer nicht springt, der ist ein Vučić“, skandieren die hüpfenden Demonstranten. Ob die von der Regierung gelenkte Justiz, die gleichgeschalteten Medien oder die florierende Korruption und Parteienwirtschaft: Von rechtsstaatlichen Verhältnissen ist der EU-Anwärter unter der fünf Jahre währenden Ägide der regierenden SNS von Vučić nach Ansicht seiner jugendlichen Kritiker weiter als je zuvor entfernt.
Hohn für Schröder und Gusenbauer
„Die Korruption, die tötet uns!“, rufen die Demonstranten – und wie zur Zustimmung schlagen in der Prinzessin-Marija-Straße Hausfrauen auf Töpfe. Es gebe viele talentierte junge Leute, die nicht emigrieren, sondern zur Entwicklung Serbiens beitragen wollten, beteuert der Maschinenbau-Student Milos: „Doch für die an der Macht sind wir irrelevant. Ihre Priorität ist es, sich ihre Taschen zu füllen – und das so schnell wie möglich.“
Der Name des deutschen Ex-Kanzlers ist dabei zum Schimpfwort geworden: „Vučić, Du Schröder!“, lautet die Aufschrift bissiger Spottplakate. Der Sozialdemokrat hatte das hohe Wahlkampflied auf Vučić angestimmt – und wird nun geschmäht. Doch nicht nur die als „Berater“ angeheuerten Politsöldner wie Ex-Kanzler Alfred Gusenbauer oder der britische Ex-Premier Tony Blair werden von den Demonstranten als Sinnbilder eines verkommenen Politbetriebs gesehen. Auch die Glückwünsche der EU-Partner an den Wahlsieger stoßen den Kritikern sauer auf.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.04.2017)